Kalte Macht: Thriller (German Edition)
neuerdings auch öfter hier«, stellte er fest. »Arbeiten die beiden oft zusammen?«
»Tut mir leid, das müssen Sie Frau Eusterbeck fragen. Ich bin nicht dabei, wenn sie im Büro sind.« Sie wies zu der Tür, hinter der Nataschas Zimmer lag. Frey nickte. »Arbeiten Sie schon lange für sie?«
»Sechs Jahre.«
»Das ist in der Politik eine lange Zeit. Sie vertraut Ihnen.«
»Das beruht auf Gegenseitigkeit.«
Frey nickte langsam und warf ihr einen anerkennenden Blick zu. »Sie sind loyal. Mehr sogar als nötig. Ich bin beeindruckt.«
»Falls das ein Kompliment gewesen sein soll: danke. Aber ich versuche einfach nur, meine Sache gut zu machen und anzuerkennen, was andere Menschen tun.«
»Schon mal überlegt, selbst in die Politik zu gehen?«, fragte Frey, der mit einem Mal sichtlich amüsiert schien.
»Ich denke nicht, dass ich mit diesen Qualitäten in der Politik große Chancen hätte.«
Frey lachte laut auf und schwang sich aus dem Sessel. »Sie gefallen mir, Frau Reber. Wenn Sie ihr mal nicht mehr die Treue halten, melden Sie sich bei mir. Ich habe immer Bedarf an solchen Mitarbeiterinnen.« Unvermittelt hatte sein Blick etwas Lauerndes angenommen. »Ich rate Ihnen trotzdem, es mit der Loyalität nicht zu weit zu treiben. Ihre Chefin ist dabei, sich reichlich unbeliebt zu machen. So was kann ansteckend wirken, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Ehrlich gesagt habe ich keinen blassen Schimmer, was Sie damit sagen wollen.«
Er beugte sich zu ihr und senkte die Stimme. »Frau Eusterbeck arbeitet hart am Rand ihrer Kompetenzen, sehr hart. Sie interessiert sich für Dinge, die sie nichts angehen. Persönliche Dinge. Privates. Sie sollte sich mehr auf ihre Aufgaben konzentrieren und weniger auf ihre Schnüffeleien.«
»Wirklich, ich …«
»Sie wissen sehr gut, worauf ich hinauswill.« Er ging grußlos aus dem Büro. Petra Reber atmete auf. Die Anwesenheit dieses Mannes hatte sie geradezu körperlich bedrückt. Ja, sie wusste, worauf er hinausgewollt hatte. Natascha forschte in Kreisen, die sie besser nicht stören sollte. Und irgendwie hatte Petra Reber das Gefühl, dass auch die verschwundene Prostituierte damit zu tun hatte. Sie griff zum Telefon, um Natascha anzurufen, da merkte sie, dass Frey immer noch an der Tür stand. Er sah auf sie herab und flüsterte: »Sie können sich auch sonst jederzeit bei mir melden.« Dann zwinkerte er ihr zu und war weg. Endlich.
*
Offenbar hatte Hagen Vertrauen gefasst. Nachdem ihm Natascha Eusterbeck ihre Version der Dinge dargelegt hatte, saß er eine Weile schweigsam da und starrte in den Nebel vor dem Fenster. Dann griff er nach einem Ordner, der auf seinem Schreibtisch lag, als würde er sich immer noch und immerzu mit der Sache befassen, und reichte ihn ihr. »Bitte. Sehen Sie sich gerne meine Recherchen an. Ich kann das alles bestätigen.«
Natascha nahm den Ordner mit feuchten Händen und schlug ihn auf. »Was können Sie alles bestätigen?«
»Ihre Thesen. Dass Ritter nicht von der RAF ermordet wurde. Dass die verurteilten Mörder vielleicht Mörder sind, aber sicher nicht die von Ritter. Dass es kein Zufall ist, dass die Leibwache nicht eingegriffen hat. Dass das Bekennerschreiben gefälscht war und der Anruf von der RAF eine billige und vor allem stümperhafte Trittbrettaktion. Alles das. Ich habe das schon vor fünfzehn Jahren gesagt. Aber das wissen Sie ja, sonst wären Sie nicht hier.« Er deutete auf die Artikel, die Kopien von Briefen und Untersuchungsakten, die Dokumente, auf denen der Stempel »Geheim« prangte. Auf die Abschriften seiner Interviews, auf Seiten um Seiten handschriftlicher Notizen, die in dem Ordner abgelegt waren. »Steht alles da drin. Und in den anderen Akten zu dem Vorgang.« Hagen deutete auf eine Reihe von Ordnern, die penibel in Reih und Glied ein Regalbrett fast vollständig füllten und mit »R1« bis »R11« beschriftet waren. Sie warf einen Blick auf den Rücken ihres Ordners. »R12«. Klar. Er arbeitete immer noch an der Sache. Für einen Augenblick fragte sich Natascha, ob ein Mann, der fünfzehn Jahre lang mit solcher Akribie und solcher Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst einen Mordfall untersucht, nicht verrückt sein musste. Hagen hatte sogar seine Karriere, seine bürgerliche Existenz geopfert. »Sie waren mal ein sehr geachteter Journalist«, sagte sie, fast ein wenig erschrocken über die Härte, die in dieser Feststellung lag. Hagen nickte. »Ja. War ich. Das ist vorbei. Auch wenn ich am Ende recht
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