Kalte Schulter - heisse Kuesse
Aufenthaltes vergessen sollen.“
Sie stand auf. „Es funktioniert. Und ja, ich habe Lust auf Abendessen.“
Gemächlich schlenderten sie hinüber zum Haupthaus. Die Sonne stand bereits tief am Horizont und tauchte die wenigen Wolken in orangefarbenes Licht.
Das Klingeln von Gabes Handy durchbrach die Stille. „Marco?“ Er sprach mit seinem Stellvertreter, während er neben Chastity herging, konzentrierte sich aber nur halbherzig auf das Telefonat. Schließlich steckte er das Handy wieder weg, gerade als eine Waldtaube mit ihrem charakteristischen langsamen Flügelschlag an ihnen vorbei in den Wald flog. Chastity blieb stehen.
„Hast du gesehen, wohin sie geflogen ist?“, fragte sie.
„Da.“ Er deutete über ihre Schulter. „In den Baum dort drüben. Sie ist scharf auf die Beeren.“
Chastity kniff die Augen zusammen, während sie weiter Ausschau nach ihr hielt.
Gabe stellte sich hinter sie, damit er einen Arm über ihre Schulter legen konnte, um ihr zu zeigen, wohin der Vogel geflogen war. Und obwohl er sich bemühte, sie nicht zu berührten, spürte er, wie sie sich verspannte. „Auf dem zweiten Ast von unten.“
Sie war nicht die Einzige, der die Nähe zu schaffen machte. Er sog den Duft ihres Shampoos ein und verspürte den drängenden Wunsch, sein Gesicht in ihren blonden Haaren zu vergraben.
„Ich sehe sie“, flüsterte sie. „Oh, schau, da ist noch eine.“
Verdammt, er war doch derjenige, der sie mit seinem Charme bezirzen wollte, nicht umgekehrt. War das alles gespielt? Die Chastity, die mit seinem Bruder zusammengelebt hatte, war eine glamouröse Persönlichkeit des öffentlichen Lebens gewesen. Fotos von ihr und Tom waren regelmäßig in den Klatschblättern aufgetaucht. Sie waren in der Weltgeschichte herumgereist, und jetzt stand sie hier neben ihm und freute sich über den Anblick eines einheimischen Vogels, der Beeren fraß.
Chastity blickte über die Schulter und ertappte Gabe dabei, wie er sie anstarrte. Sofort erlosch ihre Begeisterung. Schweigend setzte sie ihren Weg fort, und Gabe schlenderte neben ihr her.
„Sowohl Männchen als auch Weibchen brüten die Eier aus. Das Weibchen sitzt nachts und morgens im Nest, das Männchen nachmittags und abends.“
„Wirklich sehr subtil“, stellte Chastity sarkastisch fest.
„Was meinst du damit?“
„Oh, ich bitte dich, spiel nicht das Unschuldslamm. Dieses ganze Gerede von beiden Eltern, die sich um den Nachwuchs kümmern. Und dann noch der unterschwellige Hinweis darauf, dass du mit deinem reichhaltigen Wissen so ein guter Vater wärst.“
„Das kann man eben einfach nicht ignorieren.“
„Kann man doch“, beharrte sie.
Wenn sie glaubte, es würde so einfach sein, hatte sie sich gründlich getäuscht. Ganz bewusst legte er ihr eine Hand auf den Rücken, als sie das Restaurant betraten. Noch eine Botschaft, die nicht besonders subtil war. Er würde sich nicht von ihr abspeisen lassen. Er wollte, dass sie sich an ihn gewöhnte, an ihn und dieses Knistern, das zwischen ihnen herrschte. Denn ob es ihr nun gefiel oder nicht, er war Teil ihrer Zukunft. Außerdem wünschte er sich, dass sie ihm nicht länger mit Misstrauen und Angst begegnete und dass sie aufhörte, ständig alles zu hinterfragen, was er sagte und tat.
Und als sie sich jetzt weder verspannte noch sich ihm entzog, verbuchte er es als kleinen Fortschritt.
Doch ihr beklommener Gesichtsausdruck beim Anblick der sechs Männer, die bereits an einem der Tische saßen, zeigte ihm, dass er wohl nur das kleinere von zwei Übeln war.
Er drückte kurz ihre Schulter. Eigentlich hatte er sie nur aufmuntern wollen, doch auf das seidige Gefühl ihrer Haut, die seine Handfläche zum Glühen brachte, war er nicht gefasst gewesen.
Chastity war wohl nicht die Einzige, die sich an das Knistern gewöhnen musste. Schnell zog er die Hand wieder fort und legte sie erneut in ihr Kreuz – dort war wenigstens ein wenig Stoff dazwischen. Behutsam drängte er sie vorwärts. „Sie beißen nicht“, murmelte er ihr ins Ohr. Sie schüttelte ganz leicht den Kopf und strich sich das Haar zurück. Als sie das Kinn hob, veränderte sie sich vor seinen Augen. Die Unsicherheit verschwand, und auf einmal war sie wieder die Chastity, wie er sie von den Fotos in den Klatschblättern kannte – strahlend, weltgewandt, unberührbar.
Die Männer schauten auf und beobachteten sie. Genauer gesagt, Chastity, denn normalerweise blieb den Männern nicht der Mund offen stehen, wenn er einen Raum
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