Kalte Schulter, Heißes Herz
Europa in eine goldene Zukunft verwandelte.
Und nicht ausschließlich für sich selbst. Leon Maranz kehrte seiner Heimat nicht den Rücken oder überließ seine Landsleute ihrem eigenen Schicksal. Nein! Er verwendete seinen hart verdienten Reichtum dafür, ihnen einen Weg aus der Armut zu ermöglichen, die er einst am eigenen Leib hatte erfahren müssen. Er glaubte an Leute, denen sonst keiner eine Chance gab.
Das war ein höchst edles Verhalten, und Flavia wurde ganz warm ums Herz. Ihre Bewunderung war echt.
An Leons Integrität hätte ich gar nicht zweifeln müssen, dachte sie. Er besitzt nicht die korrupte, habgierige Ader meines Vaters, der sein eigenes Vermögen rücksichtslos auf Kosten anderer Menschen erwirtschaftet hat. Er hat überhaupt nicht das Geringste mit meinem Vater gemeinsam!
Vor allem diese Erkenntnis sorgte bei Flavia für ein erdrückendes Schuldgefühl. Sie schämte sich, das Spielzeug im perfiden Spiel ihres Vaters zu sein. Er zwang sie, ihre Überzeugung zu verraten und einen anderen Menschen zu manipulieren – und sie tat es, um zu schützen, was ihr lieb und teuer war.
Leon beobachtete die Veränderung in ihrem Gesicht. Fast hätte er es geschafft, ihren Schutzpanzer zu brechen und sich ein Bild von ihrer sensiblen Seite zu verschaffen, aber eben nur fast. Jetzt stand die Abwehr wieder sichtbar zwischen ihnen, und auch den Rest des Abends gelang es ihm nicht, sich einen Schleichweg drum herum zu bahnen.
Die Unterhaltung schleppte sich stellenweise mühsam dahin, und es blieb an Leon hängen, ständig nach neuen Gesprächsthemen zu suchen. Obwohl er frustriert war, freute er sich über einen einzigen kleinen Fortschritt: Zwischen ihnen beiden hatte sich etwas verändert. Flavia hatte einen Charakterzug offenbart, der ihm wahnsinnig gut gefiel. Darauf lohnte es sich aufzubauen, um diesen winzigen Funken Verständnis und Wärme anzufachen, den er in Flavia entdeckt hatte.
Auf diese Weise könnte er sie für sich gewinnen. Und wenn das viel Zeit und Geduld brauchte … würde sich der Aufwand am Ende bestimmt lohnen.
Ergeben gestaltete Leon den Abend für sie beide so angenehm wie möglich. Nach dem Essen bedankte er sich höflich bei ihr für ihre Gesellschaft und erkundigte sich, ob man sich wieder treffen wolle.
Reglos stand Flavia neben der Limousine, die sie nach Hause bringen sollte, und Leon lächelte sie ermutigend an.
„Wenn ich dich nicht zu Shakespeare überreden kann, dann vielleicht zu einem anderen Theaterstück? Oder wollen wir lieber in die Oper oder ein Konzert?“ Eifrig überlegte er weiter, bevor sie ihm eine Absage erteilen konnte. „Wie wäre es mit einer Ausstellung?“
„Das ist mir eigentlich egal“, entgegnete sie leise. „Was immer du magst.“
Was immer er mochte? Leon verstand die Welt nicht mehr. Er wollte doch am liebsten, dass sie sich etwas aussuchte. Mit dieser gleichgültigen Antwort konnte er überhaupt nichts anfangen.
„Schön, dann sehe ich mal, was ich für uns arrangieren kann. Okay?“ Sein Lächeln gefror allmählich auf seinen Lippen. „Dann bis morgen. Passt dir sechs Uhr?“
„Ja. Danke schön. Und auch danke für diesen Abend. Dann … gute Nacht.“
Sie schenkte ihm ihr formelles kleines Lächeln, das er nur zu gut kannte, und stieg in den Wagen.
Ihr war hundeelend. Das Wiedersehen mit Leon Maranz hatte für ihr Seelenleben ungeahnte Folgen. Bei Kerzenschein einander gegenüberzusitzen … das war eine schwere Prüfung für sie gewesen. Und die ganze Zeit über hämmerte sich die hässliche Wahrheit in ihr Gewissen, dass sie Leon gnadenlos ausnutzte.
In ihre Scham mischte sich eine unbändige Wut auf ihren Vater, der sie und ihre schutzlose Großmutter aus purer Raffgier bedrohte. Damit vergiftete er etwas, das sich zu einer schönen und einzigartigen Beziehung hätte entwickeln können.
Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich jemandem begegnet, der mein Herz erobern könnte, überlegte sie verträumt. Einem ganz besonderen Mann, der mir zeigt, was wahre Leidenschaft ist.
Und durch die Erpressung ihres Vaters war alles von vornherein zum Scheitern verurteilt!
Nachdenklich sah Leon der Limousine nach, bis sie um die nächste Ecke verschwunden war. Sein Frust verwandelte sich langsam in eiserne Entschlossenheit. Es musste doch einen Trick geben, irgendwie an sie heranzukommen! Sie hatte doch schon mal auf ihn reagiert, aber dann war sie ihm wieder entglitten.
Wenigstens hatte sie einem zweiten Date zugestimmt, und das
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