Kalte Spur
liegenden, von bläulichen Hautfalten umgebenen Augen starrten ihm kalt entgegen. Er nahm die Zigarette aus dem Mund und stieß den Rauch durch die Nasenlöcher aus.
»Hab auf der Notfallfrequenz davon gehört.« »Und sieht das hier so aus, als ginge es die Jagd- und Fischereibehörde etwas an?«
»Ich bin mir noch nicht sicher, wonach das aussieht, Sheriff.« Joe ging zwischen den Kadavern herum. »Aber ich hab am Crazy Woman Creek einen ähnlich zugerichteten Elchbullen entdeckt.«
Joe hatte Barnum seit Monaten nicht gesehen und hatte ihn keine Sekunde vermisst. Er verachtete den korrupten Sheriff. Gerüchten zufolge war es seine letzte Amtszeit, und er würde binnen Jahresfrist zurücktreten. Achtundzwanzig Jahre lang hatten die Wähler ihm die Treue gehalten, schienen sich nun aber erstmals gegen ihn zu wenden. Die hiesige Zeitung, der Saddlestring Roundup, hatte im Frühling einige Leitartikel veröffentlicht, in denen offen zu lesen stand, die Zeit für Barnums Abschied sei gekommen.
Hilfssheriff McLanahan fragte: »Ihr Elch hatte einen abgeschnittenen Pimmel?«
Joe sah ihn an. Dieser Kerl ist genauso übel, dachte er, womöglich schlimmer. Zwar war McLanahan nicht so klug und berechnend wie Barnum, machte dieses Manko aber durch Grausamkeit wett. Er war unberechenbar und schießwütig.
»Ja«, sagte Joe und ging in die Hocke, um eine junge Kuh zu untersuchen. »Das halbe Gesicht war weggeschnitten, genau wie die Genitalien und die Moschusdrüsen an den Hinterläufen.«
»So was hab ich noch nie gesehen.« Don Hawkins beugte sich über eine tote Kuh. »Jedes Tier ist sechs- bis siebenhundert Dollar wert. Hier schuldet mir jemand neuntausend Piepen!«
Der Gestank war nicht so schlimm, weil die Tiere seit mindestens zwei Wochen tot waren. Zwar waren die Kadaver noch
hier und dort gebläht, überwiegend aber schon in sich zusammengesunken. Die Wunden ähnelten denen des Elchbullen, wiesen aber einige Unterschiede auf. Von den meisten Köpfen war Haut mit präzisen Schnitten entfernt. Einem Kuhkopf war das Fell komplett abgezogen, was ihn wie einen Truthahngeier mit schmalem Hals und rotem Kopf wirken ließ. Da und dort waren Zunge und Augen entfernt, und an den Schultern fehlten ovale Hautpartien. Den weiblichen Tieren war das Euter abgeschnitten worden. Der Hälfte der Rinder fehlte der After; stattdessen klaffte zwischen den Hinterläufen ein dunkles Loch.
Joe spürte ein deutliches Frösteln, als er von Kadaver zu Kadaver ging. Es war wie beim Elch, nur in zwölffacher Ausführung. Wer oder was auch dahintersteckte, war seit mindestens zwei Wochen in Aktion.
»Denen wurde alles Blut abgezapft«, sagte Hawkins kopfschüttelnd. »Verrückt, oder?«
»Sind Sie sich da sicher?« Joe blickte zu dem Rancher hoch.
»Schauen Sie sich die Tiere doch an«, rief Hawkins mit ausgebreiteten Armen. »Sehen Sie irgendwo Blut? Wie kann man eine Kuh aufschneiden, ohne dass Blut auf den Boden gelangt? Wissen Sie, wie viel so ein Vieh davon hat?«
»Nein«, erwiderte Joe.
»Ich auch nicht«, sagte Hawkins aufgebracht. »Aber garantiert jede Menge.«
»Egal, wie viel«, meinte McLanahan. »Auf dem Boden ist jedenfalls nichts davon. Sieht aus, als wären die Tiere ausgesaugt worden.«
»Um Himmels willen …«, knurrte Barnum und wandte dem Hilfssheriff den Rücken zu. »Fangen Sie nicht mit so was an.«
»Wie soll es sonst gewesen sein?«
»Woher soll ich denn das wissen?«
»Vielleicht war es ein Raubtier?«, überlegte McLanahan. »Ein Bär oder ein Puma oder so?«
»Es gibt einen Bären«, berichtete Joe. »Einen großen Grizzly. Heute Morgen hab ich seine Spuren gesehen. Aber ich glaube nicht, dass ein Bär so etwas anrichtet.«
»Genau das hab ich gebraucht«, sagte Barnum mit lauter werdender Stimme, »einen Haufen verstümmelter Rinder und einen frei herumlaufenden Grizzly.«
»Ganz zu schweigen von Aliens, die dem Vieh auf Ranchland das Blut aussaugen«, fügte McLanahan dramatisch hinzu. »Das passiert nicht zum ersten Mal, wissen Sie!«
»Schluss damit!«, stieß Barnum hervor. »Und das ist mein Ernst.«
Joe verkniff sich ein Lächeln und wandte sich an Don Hawkins.
»Wann haben Sie die Rinder entdeckt?«
Hawkins antwortete zögernd. McLanahans Spekulationen hatten ihn verunsichert.
»Mein Gehilfe Juan hat sie heute Morgen auf einem Kontrollritt gefunden. Ich war im Ranchhaus und wurde per Funk informiert.«
»Haben Sie die Rinder vermisst?«
Hawkins nickte. »Wir haben den Großteil der
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