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Kalte Stille - Kalte Stille

Titel: Kalte Stille - Kalte Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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anderen Kindern auf den Kopf pinkelte, ihnen die Nase brach und die Zähne ausschlug, und das nur wegen eines Spielzeugs, wäre es zuzutrauen gewesen, dass er einen Sechsjährigen entführte. Was immer ihn dazu getrieben haben konnte - denkbar wäre es durchaus.
    Vielleicht hatte es Alfred dann mit der Angst zu tun bekommen, oder die beiden hatten gestritten - Sven hatte
sich die Entführung bestimmt nicht so einfach gefallen lassen - und dann …
    Alfred war schon als Kind kräftig gewesen. Was, wenn er Sven danach verscharrt hatte, zu tief, als dass ihn die Hunde der Suchmannschaften hätten finden können? Die Gegend um Fahlenberg war ländlich und weitläufig genug, dass auch das wachsamste Auge einen frischen Erdhaufen am Rande eines Feldes oder in den zahlreichen Waldstücken um den Ort übersehen konnte. Zwar hatte man schließlich sogar mit Methansonden gesucht - nachdem man endgültig überzeugt gewesen war, dass Sven tot sein musste -, doch außer ein paar Haustieren, die illegalerweise in Schrebergärten begraben worden waren, hatte man keine Leichenreste gefunden.
    Aber was besagte das schon?
    Von Alfred würde Jan keine Antwort mehr bekommen. Kurz vor Dienstschluss hatte Jan auf der Intensivstation angerufen und sich nach Alfreds Zustand erkundigt.
    Ob er der Kollege sei, der Herrn Wagner reanimiert habe, hatte der behandelnde Arzt von ihm wissen wollen. Nachdem Jan diese Frage bejaht hatte, hatte der Arzt hinzugefügt: »Einen Gefallen haben Sie ihm damit nicht getan.«
    Alfred lag mit schwersten Hirnschädigungen im Koma. Und da er ansonsten über eine robuste körperliche Konstitution verfügte, würde sich an diesem Zustand wohl so schnell nichts ändern.
    »Beten Sie, dass er nicht mehr zu sich kommt«, hatte der Arzt am Telefon hinzugefügt. »Bei dem bisschen, was wir von seinem Hirn retten konnten, wäre ihm das nicht zu wünschen.«
    Dann hatte er aufgelegt.

    Wieder drückte Jan die Starttaste des Diktiergeräts. Er hatte die Rückseite der Kassette eingelegt, den Teil mit der Aufnahme, als Sven verschwunden war.
    In der Küche war es still. Nur das abgehackte Ticken der Küchenuhr war zu hören. Es vermischte sich mit dem Rauschen auf dem Band. Mehr hörte Jan nicht. Wie immer.
    Damals war das Band von Experten untersucht worden. In einem Tonstudio hatte man jedes noch so kleine Geräusch herausgefiltert, von den übrigen getrennt und verstärkt. Doch nichts davon erwies sich als brauchbar.
    Was man hören konnte, war das Knirschen von Schritten im Schnee, die mit größter Wahrscheinlichkeit von Jan oder Sven selbst stammten, das Heulen des Nachtwindes und ein kurzer, sehr hoher Ton unmittelbar vor Ende der Aufnahme.
    Vor allem dieser Laut, der sich wie Fiep! anhörte, hatte die Tontechniker interessiert. Wieder und wieder hatte man den Teil der Aufnahme verstärkt, die Ablaufgeschwindigkeit reduziert und mit allen technischen Mitteln untersucht.
    Das Resultat erwies sich dennoch als äußerst dürftig. Möglich, dass es tatsächlich Svens Stimme war, hieß es seitens der Experten - die hohe Stimme eines Sechsjährigen, der von seinem Entführer überrascht wurde. Vielleicht von jemandem, der von hinten an ihn herangeschlichen war und ihm die Hand auf den Mund gepresst hatte. Es war aber ebenso möglich, dass dieser hohe kurze Laut von einem Kleintier stammte, das in der Nähe gewesen war - vielleicht ein Eichhörnchen, das in seiner Winterruhe gestört wurde, oder ein Marder. Mehr könne man wirklich nicht sagen, hatte es geheißen.
    Jan behielt das Zählwerk im Auge. Kurz bevor die
Stelle mit dem hohen Ton zu hören war, schaltete er das Gerät wieder ab.
    925. Bis dahin und nicht weiter!
    Wieder rief sich Jan die Worte seines Vaters in Erinnerung: Manchmal stellt uns das Leben Fragen, auf die es keine Antworten gibt .
    Jan dachte, dass uns das Leben auch manchmal völlig unvorbereitet mit Vergangenem konfrontiert. Als er beim Anziehen frische Unterwäsche aus dem Schrank genommen hatte, hatte er die Erinnerung noch abwehren können, doch nun war sie wieder da.
    Er hatte an Alfred gedacht, der die Slips der Patientinnen geklaut hatte. Von dort war es nur ein kleiner Schritt zu Peter Laszinski, dem Kinderschänder, der Jans Nervenzusammenbruch ausgelöst hatte.
    Jan sah sich wieder mit Laszinski in dem Besucherraum sitzen. Nur sie beide. Die beiden Wachmänner warteten vor der Tür.
    »Ein getragenes Höschen Ihrer Frau für meine einsamen Nächte«, hörte er Laszinski wieder sagen, »und

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