Kalte Wut
stand ganz nahe bei diesem Inferno.
Walvis trug eine Hausjacke aus Samt und dazu ein weißes Abendhemd, eine schwarze Krawatte und eine schwarze Hose. Er hatte mit sehr gelassener Stimme gesprochen, was Martin verunsicherte. An einer Seite des Raums stand eine Tür halb offen. Martin begann zu reden.
»Ich glaube, Sie hatten gerade mit Rosa das Gebäude durch den Hinterausgang verlassen, als …«
»Ich hatte. Berichten Sie, was passiert ist.«
Die Tatsache, daß Walvis ihn nicht einmal angesehen hatte, irritierte Martin. Jetzt starrte er ins Feuer, während Martin mit dem Satz begann, den er sich zurechtgelegt hatte.
»Kuhlmann stürmte mit seinem Sturmtrupp aus dem Fahrstuhl …«
»Bitte keine Dramatisierungen. Nur die Fakten. Newman und Lisa Trent waren da. Weiter.«
Martin schluckte. Er hatte vorgehabt, seinen Bericht auszuschmücken, zu demonstrieren, wie er die Situation unter Kontrolle gehabt hatte. Jetzt entschied er sich dafür, die Wahrheit zu sagen, so demütigend die Rolle, die er dabei gespielt hatte, auch erscheinen mochte.
Er redete fünf Minuten und gebrauchte dabei so wenige Worte wie möglich. Walvis konnte Weitschweifigkeit nicht ausstehen.
Körperlich empfand Martin von Sekunde zu Sekunde mehr Unbehagen. Er wurde von der von dem Feuer ausstrahlenden Hitze geröstet. Seine zuvor vor Kälte erstarrten Hände kribbelten schmerzhaft. Einmal versuchte er, seinen Stuhl ein Stück von dem Feuer wegzurücken, aber der dicke Finger zeigte wieder auf ihn.
»Sitzen Sie still. Lassen Sie den Stuhl so stehen. Weiter, schnell.«
Walvis nippte an einem Glas Champagner. Neben ihm stand eine Flasche in einem Eiskübel, der auf einem Dreifuß ruhte.
Walvis erkundigte sich nicht, ob Martin vielleicht auch gern ein Glas hätte, und dieser fuhr mit seinem Bericht fort. Walvis schenkte sich sogar nach, abermals ohne einen Blick in Martins Richtung.
»Reden Sie weiter«, sagte er, nachdem er sich aus seinem Sessel hochgestemmt hatte. Vor den Fenstern waren die Jalousien herabgelassen, und ihm war aufgefallen, daß eine der Jalousien nicht ganz geschlossen war. Er kümmerte sich darum und stapfte zu seinem Sessel zurück, als Martin seinen Bericht über die Vorfälle in der Zentrale beendete.
»Sie haben etwas ausgelassen, nicht wahr?«
Walvis seufzte und deutete damit unendliche Geduld mit einem Narren an, dann ließ er sich wieder in seinen Sessel sinken.
»Ich glaube nicht …«
»Ihr Hemd ist zerknittert und zerrissen.«
Martin verfluchte sich innerlich selbst. Er hatte die Szene ausgelassen, wie Kuhlmann ihn gepackt und an die Wand gedrückt hatte. Er berichtete Walvis davon.
»Ist irgendwann Tweeds Name gefallen?« fragte Walvis plötzlich.
»Nein. Mit Sicherheit nicht. Kein einziges Mal.«
»Interessant. Gehen Sie in Ihr Zimmer. Ich empfehle Ihnen ein langes, heißes Bad, nicht nur eine Dusche. Sie schwitzen wie ein Schwein. Eine Reaktion Ihres Gewissens, nehme ich an. Sie haben doch ein Gewissen, Martin, oder etwa nicht? Sie brauchen nicht zu antworten. Verschwinden Sie.«
»Ich könnte etwas zu essen brauchen …«
»Später. Nach dem langen Bad. Ab.«
Martin sprang auf und verließ das Zimmer, froh, der wortkargen Inquisition entkommen zu können, der beunruhigenden Gelassenheit, die sein Boß an den Tag gelegt hatte. Walvis wartete, bis er die Tür hinter sich zugemacht hatte, dann rief er.
»Sie können herauskommen, Rosa. Sagen Sie mir, was Sie von Martins Bericht halten.«
Rosa Brandt, wie üblich in einem schwarzen Kleid und mit ihrer schwarzen Kappe mit dem Schleier erschien durch die halb offenstehende Tür. Sie ließ sich in einem Sessel dicht neben dem von Walvis nieder.
»Ich glaube, er hat schließlich die Wahrheit gesagt. Natürlich hat er anfangs versucht, das Gesicht zu wahren.«
»Tweed hat diesen Überfall organisiert.«
»Das glauben Sie?«
»Ich bin ganz sicher. Das Bezeichnende an diesem Vorfall ist, daß Tweed selbst dabei nicht in Erscheinung getreten ist. Wir wissen kaum, wie er aussieht – abgesehen von dem einen Foto, das von ihm existiert.«
»Vielleicht ist er Ihnen ähnlich«, vermutete Rosa.
»Eine sehr kluge Bemerkung. Ich habe den Eindruck, daß Tweed der tüchtigste und gefährlichste Gegner ist, mit dem ich es je zu tun hatte. Seine Anwesenheit beunruhigt mich – zumal jetzt, wo Sturmflut so nahe bevorsteht.«
»Wie nahe?«
»Sie wissen, daß ich solche Fragen nicht schätze, meine Liebe.
Ich frage mich sogar, ob ich nicht ein heimliches
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