Kalte Wut
…«
»Stop!« rief Paula. »Kommen Sie und setzen Sie sich neben mich. Ich werde es nicht auf Anhieb schaffen, aber lassen Sie sich dadurch nicht entmutigen. Es kann sein, daß ich sechs Skizzen machen muß, bevor Sie den Eindruck haben, daß ich Walvis getroffen habe …«
Newman verließ die Couch und setzte sich auf die Lehne von Tweeds Sessel. Sie begannen, sich im Flüsterton zu unterhalten, um Philip und Paula nicht von ihrem Vorhaben abzulenken.
»Butler hat beim Verfolgen von Gulliver gute Arbeit geleistet, als dieser aus dem Gebäude kam«, erinnerte sich Newman. »Ich frage mich, was in diesem alten, heruntergekommenen Lagerhaus in dieser unschönen Gegend am Stadtrand von München stecken mag.«
»Nicht so heruntergekommen, wie es aussieht«, frischte Tweed seine Erinnerung auf. »Butler hat sich die Mauer, die es umgibt, genau angesehen und auf ihrer Krone einen Alarmdraht entdeckt.
Auch das Tor war mit einem elektronischen Alarmsystem gesichert. In diesem Bau muß etwas stecken, von dem Walvis nicht will, daß die Außenwelt davon erfährt.«
»Sollten wir vielleicht Kuhlmann bitten, es zu stürmen?«
»Noch nicht. Walvis soll denken, das Lagerhaus wäre weiterhin geheim. Ich glaube, für meine Zwecke haben wir ihn im Moment genügend aufgescheucht. Sagten Sie nicht, Sie wollten mit Lisa Trent frühstücken?«
»Ja, morgen.« Newman sah auf die Uhr. »Nein, heute. Wissen Sie, in diesen paar Minuten, in denen Gulliver seine Luger auf uns gerichtet hatte, war sie so ruhig und kalt wie Eis. Sie hatte eine Menge Mumm. Das gefällt mir.«
»Womit Sie sagen wollen, daß Lisa Ihnen gefällt«, rief Paula.
»Und ein Wunder ist geschehen. Philip hat mir den Mann so exakt beschrieben, daß ich Walvis auf Anhieb hinbekommen habe – mit ein paar kleineren Korrekturen.«
»Paula arbeitet sehr schnell und ist eine hervorragende Zeichnerin«, bemerkte Philip.
»Nun«, erklärte Tweed, »da ihr beide so zufrieden miteinander seid, laßt uns das Ergebnis sehen.«
Paula zog einen kleinen Beistelltisch heran und legte die Kohleskizze darauf. Newman betrachtete sie und stöhnte.
»Großer Gott! Sieht er wirklich so aus? Er muß der häßlichste Mann der Welt sein.«
»Sie haben da gerade eine überaus wichtige Beobachtung gemacht«, bemerkte Tweed. »Und sie bestätigt mir, was ich bereits dachte.«
»Und was ist das?«
»Nur eine Theorie. Ich muß Walvis sehen, um die Bestätigung dafür zu finden.«
»Sie reden schon wieder von dieser Wahnsinnsidee, sich mit Walvis zu treffen«, warf Newman ihm vor. »Ich würde sie fallenlassen, wenn ich Sie wäre.«
»Aber Sie sind nicht ich …«
Tweed antwortete mechanisch. Der größere Teil seiner Aufmerksamkeit galt der Skizze, die er unverwandt und mit größter Intensität betrachtete. Paula hatte ein Brustbild von Walvis angefertigt, bis hinunter zu seiner monströsen Taille.
»Sein Kopf ist riesig«, sagte Newman. »Der Himmel mag wissen, wieviel er wiegt. Und das Gesicht – sein Ausdruck – würde Milch zum Gerinnen bringen. Kein Wunder, daß ihm so viel daran liegt, nicht fotografiert zu werden. Er ist ein bösartiger Koloß.«
»Wahrscheinlich hat sein Aussehen seine gesamte Einstellung zum Leben und zu anderen Menschen geprägt«, sagte Tweed, laut denkend. »Und es könnte auch der Grund dafür sein, weshalb Rosa Brandt seine Vertraute ist – und jetzt mache ich mir über sie Gedanken. Wenn man das Gefühl hat, von der Welt verstoßen worden zu sein, dann könnte das für immer jeden Überrest von Menschlichkeit zerstören, den man vielleicht einmal besessen hat.«
»Aber es ist Walvis, der so abstoßend aussieht«, erinnerte ihn Paula.
»Das stimmt.«
Er starrte immer noch auf die Skizze, als wäre er von ihr hypnotisiert. Dann lehnte er sich zurück und betrachtete sie mit halb geschlossenen Augen.
»Jetzt spielen Sie wieder den Geheimnisvollen«, warf Paula ihm von »Sie haben nicht erklärt, weshalb Rosa Brandt die ideale Gefährtin und Vertraute von Walvis sein könnte.«
»Nein, das habe ich nicht. Paula, ich hätte diese Skizze gern gerahmt, damit ich sie mir von Zeit zu Zeit immer wieder ansehen kann. Das Problem ist nur, daß niemand sonst sie sehen darf.«
»Das Problem kann ich lösen«, versicherte ihm Paula. »Ich mache einfach eine zweite Skizze im gleichen Format – eine Skizze von einer imaginären Person, die mit Walvis nicht die geringste Ähnlichkeit hat. Mit der gehe ich dann zu einer Rahmenhandlung, die ich bei
Weitere Kostenlose Bücher