Kalte Wut
daß er emotional zu tief in der Sache engagiert war, als daß man ihn hätte allein lassen können.
»Tut mir leid, daß ich Sie angefahren habe«, sagte Philip, der so fuhr, daß er Martin nicht aus den Augen verlor. »Okay. Wir tun es gemeinsam.«
»Aber Sie sind der Boß«, erwiderte Nield.
»Ist das Taktgefühl?« erkundigte sich Philip.
»Nein, es entspricht nur meiner Einstellung. Und ich frage mich, wo Martin um diese Zeit hin will. Er scheint es verdammt eilig zu haben …«
Er verfiel in Schweigen, froh, daß er Philip dazu gebracht hatte, seine Gesellschaft zu akzeptieren. Bald hatten sie die Stadt hinter sich gelassen und fuhren auf einer Autobahn durch offenes Gelände.
Der Mond schien von einem klaren Himmel herab, und auf der Straße glitzerten Eiskristalle. Zu beiden Seiten der Straße erstreckte sich eine flache Landschaft mit schneebedeckten Feldern. Auf der Autobahn herrschte mehr Verkehr, als Nield erwartet hatte, und er machte eine Bemerkung darüber.
»Etwas ist merkwürdig«, erwiderte Philip. »Das ist die Autobahn, die zum Flughafen führt. Es ist doch unwahrscheinlich, daß Martin noch heute abend irgendwohin fliegen will.«
»Warten wir’s ab«, sagte Nield, der eine Karte von Kümmerly & Frey studierte. »Im Augenblick sind wir auf der A 9. Sie führt zum Flughafen und dann weiter nach Nürnberg und schließlich nach Berlin.«
»Also haben wir vielleicht eine lange Fahrt vor uns. Und ich stelle mit Genugtuung fest, daß sie nachlässig werden, was ihre Sicherheitsvorkehrungen angeht.«
»In welcher Hinsicht?«
»Martin fährt denselben blauen Audi, aus dem heraus er in Berg versucht hat, mich umzubringen. Er hätte einen anderen Wagen nehmen müssen.«
Der Verkehr wurde allmählich dünner. Philip gab ein triumphierendes Grunzen von sich.
»Das könnte interessant werden«, sagte Nield. »Er ist an der Ausfahrt zum Flughafen vorbeigefahren.«
»Ja, ich habe es bemerkt. Wir könnten auf einer heißen Spur sein. Und der große Mercedes vor uns gibt uns vorzügliche Deckung. Irgendwie habe ich das Gefühl, daß Martin gar nicht auf die Idee gekommen ist, daß er verfolgt werden könnte.«
»Jetzt sind wir auf der A 92«, bemerkte Nield. »Die führt zu einem Ort, der Deggendorf heißt.«
»Ich weiß«, sagte Philip, der sich die Karte bereits früher angeschaut hatte. Er unterließ es zu erwähnen, daß östlich von Deggendorf Grafenau und die tschechische Grenze lagen. Philip kämpfte nach wie vor mit seinem Gewissen. Er wollte seine Trümpfe selbst ausspielen, aber gleichzeitig war ihm nicht wohl bei dem Gedanken, daß er Tweed nicht erzählt hatte, was er, im Schrank versteckt, in Walvis’ Büro gehört hatte.
Grafenau – der Ort, an den Walvis seine Mitarbeiter schickte, um sie zu bestrafen. Die tschechische Grenze –an der sich Sherwood zufolge Trainingslager für irgendwelche finsteren Zwecke befanden. Passau, das Walvis gleichfalls erwähnt hatte.
Das einzige, was er nie jemandem erzählen würde, war, wo Palewksi sich versteckt hielt – in Salzburg.
»Er scheint eine ziemlich lange Fahrt vor sich zu haben«, bemerkte Nield.
»Wir bleiben ihm auf den Fersen …«
Vor ihnen erstreckte sich die Autobahn im Licht des Mondes.
Sie war vierspurig, und die beiden Fahrspuren in jeder Richtung waren durch einen breiten Mittelstreifen mit schneebedeckten kleinen Bäumen und Sträuchern hinter der Leitplanke voneinander getrennt.
Wenn Philip aus dem Fenster schaute, sah er in der Ferne einsame Dörfer. Von den steilen, mit roten Pfannen gedeckten Dächern war der Schnee abgeschmolzen, und gelegentlich sah er den Turm einer winzigen Kirche. Es gibt doch tatsächlich Leute, die in dieser Wildnis leben, dachte er.
»Er fährt von der Autobahn ab«, sagte Nield.
Martins blauer Audi war auf eine Ausfahrt ausgeschwenkt und fuhr jetzt über eine die Autobahn überquerende Brücke. Philip folgte in sicherem Abstand. Jenseits der Brücke sah er in einiger Entfernung den blauen Audi auf einem Feldweg. Philip verringerte das Tempo, weil der Feldweg voller Schlaglöcher war.
Sie spürten, wie unter ihren Rädern Eis zerbrach. Obwohl die Heizung auf vollen Touren lief, war, es in dem BMW kalt geworden. Philip hatte die Scheibenwischer eingeschaltet, um die Windschutzscheibe eisfrei zu halten. Der Feldweg verschwand in einer tiefen Senke.
»Ich kann Martins Audi nicht mehr sehen«, bemerkte Philip.
»Aber ich habe kurz ein großes Bauernhaus gesehen. Durchaus möglich, daß das
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