Kalte Wut
Hand zu halten. Ich kann es von hier aus sehen, an unserem Tisch in einem Restaurant. Was Gerüchten zufolge hätte auftauchen können, ist aufgetaucht – in großem Maßstab. Ich kann es von meiner jetzigen Position aus sehen. Ich nehme an, daß wir heute abend nach Einbruch der Dunkelheit wieder von hier abfahren werden.
Wohin sollen wir uns dann begeben?«
»Dahin, wo ich jetzt bin. Haben Sie eine Ahnung, wann Sie beide hier eintreffen werden? Ich will Sie damit nicht zur Eile drängen.«
»Irgendwann im Lauf der Nacht. Muß jetzt Schluß machen. Bis später …«
Tweed hatte das Gefühl, als wäre ein Gebet erhört worden. Er legte den Hörer auf und informierte Paula und Philip über das, was Newman gesagt hatte.
»Es bedeutet, daß ein sehr großer Zug von Schleppkähnen in Passau eingetroffen ist. Newman hat angedeutet, daß sie mit Unmengen von Waffen für Walvis beladen sind. Marier ist bei ihm.«
»Ich hoffe nur, die beiden haben nicht irgend etwas Verrücktes vor«, bemerkte Paula.
»Das müssen wir ihrem Urteilsvermögen überlassen …« Er brach ab, weil das Telefon abermals läutete. »Das könnten Nield oder Butler sein, die aus Grafenau berichten wollen.« Er nahm abermals den Hörer ab.
»Ja?«
»Guten Abend, Mr. Tweed«, sagte eine tiefe, kehlige Stimme.
»Ich bin Walvis. Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß es vielleicht in unser beider Interesse wäre, wenn wir ein Zusammentreffen vereinbaren könnten. Nur wir beide. Ich glaube, es könnte für uns beide von Vorteil sein, wenn wir uns an einem abgelegenen Ort sehen würden. Natürlich müßten von beiden Seiten Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden.«
»Natürlich«, pflichtete Tweed ihm bei.
»Dann können wir vielleicht gleich zur Sache kommen.«
»Noch nicht«, sagte Tweed entschieden. »Ich brauche etwas mehr Zeit. Prinzipiell bin ich einverstanden. Wie kann ich Sie erreichen?«
»Oberhaupt nicht. Wieso sollte ich die Karten in meiner Hand vorzeigen, wenn ich die in Ihrer Hand kenne? Ich weiß, daß Sie sich im Moment im Hotel Österreichischer Hof in Salzburg aufhalten. In Zimmer 309. Ich beglückwünsche Sie zu Ihrem Geschmack. Es ist ein erstklassiges Hotel.«
»Dann sollten Sie mich von Zeit zu Zeit anrufen, bis ich soweit bin. Und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich nicht mit Anrufen bombardieren würden.«
»Seien Sie vorsichtig, Mr. Tweed. Seien Sie vorsichtig. Wir leben in gefährlichen Zeiten …«
In dem geräumigen Wohnzimmer des Bauernhauses zwischen München und Deggendorf knallte Walvis den Hörer auf die Gabel. Er starrte Gulliver und Martin an, und sein Gesicht war vor Wut verzerrt. Er kaute auf seiner Unterlippe, dann fiel er über die beiden her.
»Ihr beide habt in Salzburg alles restlos versaut. Tweed hat nur eine Frau bei sich – die bestimmt völlig bedeutungslos ist – und einen weiteren Mann. Vor ein paar Minuten hat Lucien mich aus Salzburg angerufen. Er hat drei Männer ausgeschickt – drei –, die diesen Mann in der Altstadt erledigen sollten. Und was noch wichtiger ist, Ziggy Palewski war mit diesem Mann zusammen.
Und was passiert? Ihre drei sorgfältig ausgesuchten Leute sind tot, Palewski verschwunden, und Tweeds Mann setzt in aller Ruhe seine Wanderung durch die Altstadt fort.«
»Was hat Lucien dabei getan?« fragte Martin, dann wünschte er sich, diese Frage nicht gestellt zu haben.
»Ihr Lucien«, sagte Walvis in einem Ton, der Martin an die Nieren ging, »Ihr Lucien«, wiederholte er, »ist nach dem Massaker an seinen Leuten in der Altstadt herumgeschlichen und Tweeds Mann gefolgt, der dafür verantwortlich war – aber in sicherem Abstand. Er hatte eine Heidenangst nach dem, was er mitangesehen hatte. Das war nicht zu überhören, als er mich anrief und ich ihn ins Kreuzverhör nahm.«
»Er ist im Grund nicht mein Lucien«, protestierte Martin schwächlich. »Ich …«
»Sie!« donnerte Walvis. »Sie waren für das Unternehmen verantwortlich. Und jetzt ist Tweed auf der Hut. Außerdem hatte Lucien Palewski auf dem Präsentierteller –und hat ihn verloren!
Weshalb muß ich mit solchen Nieten zusammenarbeiten?« Sein Verhalten wurde plötzlich sanftmütig. »Aber wir haben andere Dinge zu bedenken.«
»Haben Sie wirklich vor, sich mit Tweed zu treffen?«
erkundigte sich Gulliver vorsichtig.
»Ja. Ich muß diesen außergewöhnlichen Mann kennenlernen, sehen, mit wem ich es zu tun habe. Vielleicht gelingt es mir sogar, ihn zu meiner Sicht der Dinge zu bekehren. Das wäre
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