Kalte Wut
Dächer. Sie trank einen Schluck von dem Champagner, den Tweed bestellt hatte. Sogar er hatte ein Glas vor sich stehen.
»Eine tolle Geschichte, was sich da in Deutschland und Österreich abgespielt hat«, bemerkte sie.
»Der wichtigste Teil der Geschichte liegt noch vor uns«, erinnerte Tweed sie.
»Ich habe eine Neuigkeit für Sie«, sagte sie. »Sie wird Sie verblüffen.«
»Verblüffen Sie mich.«
»In der Economy Class sitzen zwei Passagiere, ein gutes Stück voneinander entfernt. Lisa Trent und Jill Seiborne. Ein unheimlicher Gedanke, daß wir vielleicht Teardrop an Bord haben.«
»Das erklärt ihre Bemerkungen beim Frühstück. Sie haben sich beide sehr vage ausgedrückt, als ich mich erkundigt habe, wann sie aus München abreisen wollten. Das hat meinen Argwohn erregt.«
»Und jetzt ist der Argwohn bestätigt.«
»Aber vergessen Sie nicht, daß Rosa Brandt verschwunden ist«, erinnerte Tweed. »Auf jeden Fall ist sie nicht an Bord. Ich hatte es zwar eilig, unsere Plätze zu erreichen, aber sie hätte ich nicht übersehen.«
»Ich frage mich, ob Kuhlmann sie finden wird.«
»Wenn es überhaupt jemand schafft, dann Kuhlmann. Dann wird sie sofort nach London befördert. Ich bin jetzt sicher, daß eine von den dreien Teardrop ist.«
»Sie glauben, daß es uns gelingen wird, sie zu identifizieren?«
»Irgendwann bestimmt. Weil ich keinerlei Zweifel daran habe, daß ich ihr nächstes Opfer sein soll.«
In Lindau war Walvis mit seinen Stellvertretern und einigen sehr unerfreulich aussehenden Typen von der
Pegasus
auf das Wasserflugzeug umgestiegen, das jetzt über den Bodensee rauschte, der auf Anordnung des Ministers von sämtlichen Booten geräumt worden war. Die Schwimmer hoben sich aus dem Wasser, die Maschine stieg auf, der Pilot nahm Kurs auf den Süden Englands.
»Sie haben die kodierte Nachricht nach Cleaver Hall geschickt?« wollte Walvis wissen.
»Sie ist vor einer halben Stunde übermittelt worden«, berichtete Gulliver.
»Sie würden vermutlich liebend gern wissen, wie sie lautete«, reizte Walvis Gulliver und Martin.
»Das ist Ihre Sache«, erwiderte Martin mit einem glatten Grinsen.
»Wie lautete sie?« fragte Gulliver rundheraus.
»Sie wissen, daß es in England elf Regional Controllers gibt?« fragte Walvis, Martin ansehend.
»Ja, und ihre Existenz ist streng geheim«, begann Martin, glücklich, mit seinem Wissen protzen zu können. »Nur wenige Leute wissen, daß es sie gibt. Die ganze Insel ist in elf geheime Regionen aufgeteilt. Falls etwas passieren sollte, das es der Regierung unmöglich macht, das Land unter Kontrolle zu halten – ein plötzlicher Absturz ins Chaos zum Beispiel –, dann ergreifen die elf Regional Controllers von ihren geheimen Zentralen aus sofort die Macht. Drei von ihnen sind bereits ausgeschaltet worden.«
»Sehr gut, Martin«, bemerkte Walvis verschlagen. »In meiner Nachricht habe ich die Exekution von vier weiteren dieser Männer befohlen. Damit wären sieben von elf aus dem Weg geräumt. Außerdem habe ich die Sabotage sämtlicher wichtigen Kommunikationszentren angeordnet. Sie haben das richtige Wort gebraucht. Es wird Chaos geben.«
»Und wir bemächtigen uns Großbritanniens von unserem Kommunikationszentrum in Cleaver Hall aus«, setzte Gulliver hinzu. »Projekt Sturmflut.«
»Nur der Beginn«, korrigierte Walvis. »Wir geben außerdem den Anführern der riesigen Flüchtlingshorden, die nur darauf warten, über Westeuropa hinwegzufegen, besonders an der Oder–Neiße-Linie, das vereinbarte Zeichen. Und in der Zwischenzeit wird Tweed in der Gegend von Aldeburgh herumstolpern, bis er schließlich das Haus gefunden hat, das nur eine Attrappe ist. Nur eines tut mir leid.«
»Und was ist das, Sir?« fragte Martin, Gulliver zuvorkommend.
»Rosa Brandt hat Lindau nicht so rechtzeitig erreicht, daß wir sie an Bord nehmen konnten. Aber ich bin sicher, daß sie einen anderen Weg finden wird, um nach England zu kommen. Mit dem Zug nach Zürich und von dort mit dem Flugzeug nach London.
Alles läuft nach Plan.«
An Bord des Jets schien Tweed völlig in Gedanken versunken zu sein. Er hatte seit geraumer Zeit mit halbgeschlossenen Augen dagesessen, doch dann bewegte er sich plötzlich. Zwischen Paula und Tweed gab es oft eine Art Gedankenübertragung, und sie traf auch diesmal den Nagel auf den Kopf.
»Sie haben sich in Walvis’ Lage versetzt? Überlegt, welches seine nächsten Schritte sein werden?«
»Sie haben recht«, gab er zu. »Ich muß
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