Kalte Wut
würden?« fragte Paula.
»Das ist relativ leicht zu erklären«, sagte Marier. »Ich habe gesehen, daß unser Freund Winter ein Handy in seinem Wagen hatte. Dieser Mann da oben hat vermutlich alle Leute beobachtet, die in der letzten Stunde oder so in Bosham eingetroffen sind.
Nun, jedenfalls wissen sie jetzt, daß wir hier sind.«
»Ausgezeichnet«, erwiderte Tweed.
Seine Reaktion war so verblüffend, daß eine Zeitlang niemand etwas sagte, während sie Newman folgten, wobei sie sich auf der trockenen Seite der schmalen High Street hielten. Die Häuser waren alt, zum Teil mit Reet gedeckt, und einige von ihnen beherbergten jetzt Andenkenläden. Als Newman sie in das weißgetünchte Bistro führte, konnten sie in einiger Entfernung die berühmte Kirche sehen. Das Lokal war gut besucht. An den Tischen saßen Leute, die Kuchen aßen und Tee oder Kaffee tranken. Rechts gab es eine kleine, moderne Bar. Ein großer, kräftig gebauter Mann begrüßte sie, und sie bestellten Kaffee.
Tweed starrte auf eine riesige, wasserdichte Tür mit einem großen Rad im Zentrum. Sie erinnerte ihn an ein Schott in einem Unterseeboot. Er sah den Wirt an und deutete darauf.
»Ist die echt oder nur eine Attrappe?«
»Die ist echt, Sir. Eine Flut wie die heute kann die Terrasse draußen unter Wasser setzen und dann an der Mauer hochsteigen.«
»Ich schreibe ein Buch über ungewöhnliche Lokale«, log Tweed. Er trat zusammen mit dem kräftig gebauten Mann an eines der Fenster und schaute hinaus. Bestürzend hohe Wellen rollten heran und brachen über den Rand der Terrasse.
»Im Sommer essen unsere Gäste hier draußen«, sagte der Wirt, bemüht, einen guten Eindruck zu machen.
»Könnte ich für einen Moment auf diese Terrasse hinausgehen?
Das ist etwas ganz Ungewöhnliches – und der Ausblick muß großartig sein.«
»Natürlich. Ich mache die Tür zu, während Sie draußen sind.
Passen Sie auf den Wind auf. Und geben Sie mir ein Zeichen, wenn Sie wieder hereinkommen wollen …«
Er drehte das große Rad und zog dann die schwere Tür gerade so weit auf, daß Tweed hindurchschlüpfen konnte. Sobald Tweed draußen war, traf der Wind ihn wie ein Schlag ins Gesicht.
Marier, Paula und Newman folgten ihm. Die Tür wurde hinter ihnen wieder geschlossen. Die Sturmböen ließen ihre Regenmäntel flattern, und Gischt von den anrollenden Wellen spritzte ihnen ins Gesicht.
Die Aussicht war wirklich großartig. Sie konnten den Priel bis zu der Stelle überblicken, an der er in den Bosham Channel mündete. An Bojen verankerte Boote wurden in die Luft geschleudert, und eines war gekentert. Marier hob sein Fernglas vors Auge und richtete es auf Cleaver Hall.
»Der Typ da oben beobachtet immer noch Bosham«, sagte er.
»Sieht sich vermutlich jeden genau an, der hereinkommt.«
Er richtete sein Fernglas auf eine Stelle, an der ein silberfarbener Citroen vor der hohen Granitmauer parkte, die Cleaver Hall umgab. Winter kletterte gerade eine Strickleiter hinauf, die jemand heruntergeworfen hatte. Ein Mann schaute über die Mauerkrone und beobachtete sein Vorwärtskommen. Der Kletterer erreichte das obere Ende der Mauer und verschwand, dann wurde die Strickleiter eingezogen. Marier senkte sein Glas und betrachtete den Citroen – die See hatte ihn noch nicht erreicht, kam aber immer näher.
»Freund Winter ist in Panik geraten«, bemerkte Marier. »Er muß sein Handy dazu benutzt haben, Cleaver Hall um Hilfe zu bitten. Er ist jetzt auf dem Grundstück.«
»Und ich meine, wir sollten jetzt wieder hineingehen«, warnte Paula, mit einer Hand ihren Rock festhaltend. »Mir gefällt die Welle nicht, die da auf uns zukommt.«
Sie hatte kaum ausgesprochen, als sie hörten, wie die Tür hinter ihnen geöffnet wurde. Der Wirt war nervös.
»Kommen Sie schnell herein. Da kommt eine Monsterwelle …«
Tweed warf noch einen letzten Blick auf den grünen, von Gischt gekrönten Wasserberg, dann eilten sie alle hinein. Die Tür wurde geschlossen, das Rad gedreht. Sekunden später hörten sie den Anprall von schwerem Wasser, die Fenster wurden überflutet, und als Tweed wieder hinausschauen konnte, sah er, daß die Terrasse unter Wasser stand.
»Danke«, sagte er. »Diese Terrasse muß auf Sommergäste einen unvergeßlichen Eindruck machen. Könnten wir einen Kaffee haben? Gegessen haben wir leider schon …«
»Natürlich, Sir.«
Tweed entschied sich für einen großen Ecktisch, weit weg von den wenigen übrigen Gästen. Butler und Nield sagten nichts
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