Kalte Wut
erstaunlich rasch bewegen. Er trat vor und umklammerte mit beiden Händen eine Stahlstange.
»Sie werden so viele Anklagen bekommen, daß Sie nicht mehr wissen, wo Ihnen der Kopf steht. Das ist nur der Anfang. Und in Zukunft passen Sie lieber gut auf, wenn Sie eine Straße überqueren. Es könnte sein, daß Sie überfahren werden.«
»Sie meinen, genauso, wie man es vor ungefähr einem Jahr bei Jean Cardon versucht hat?« fragte Newman kalt.
Die Wirkung auf Gulliver war erschreckend. In die unkontrollierte Wut mischte sich Verwirrung. Er trat vom Tor zurück, und seine rechte Hand fuhr in seine ärmellose Jacke.
Butler hatte bereits die Hand auf seiner verborgenen Walther. Der erste Mann, der mit dem Hund erschienen war, ergriff Gullivers Arm und schüttelte den Kopf.
»Besser, kein Aufsehen zu erregen, Sir …«
»Man sollte nie die Beherrschung verlieren«, ermahnte ihn Nield. »So benehmen sich nur Schuljungen.«
Newman machte auf dem Absatz kehrt und ging rasch zu dem unterhalb der Mauer versteckten Wagen zurück. Butler behielt Gulliver im Auge, dann folgte er Nield zu ihrem hinter dem Mercedes parkenden Ford Escort. Newman gab Gas, schoß mit hohem Tempo an dem Tor vorbei und warf dabei einen Blick nach rechts. Gulliver stapfte auf dem Rückweg zum Haus mit bebenden Schultern die kiesbestreute Zufahrt entlang.
»Zurück zum Berkeley Arms, damit Paula Monica anrufen kann«, befahl Tweed.
Er hörte aufmerksam zu, als Newman ihn über die Einzelheiten ihrer Begegnung informierte. Als Paula einen Blick auf ihn warf, sah sie, daß er grimmig lächelte.
»Gut gemacht, Bob, sehr gut«, bemerkte Tweed. »Diese erste Konfrontation mit dem Gegner ist besser verlaufen, als ich zu hoffen wagte.«
»Wie können Sie so sicher sein, daß wir über den Gegner reden?« fragte Paula.
»Weil Gulliver in seiner Wut einen fatalen Fehler gemacht hat.
Als Bob Jean Cardon erwähnte, hätte Gullivers natürliche Reaktion sein müssen: ›Wer, zum Teufel, ist Jean Cardon?‹ Die Tatsache, daß er das nicht getan hat, beweist, daß er den Namen kennt. Wir sind jetzt auf der richtigen Spur. Wir müssen herausfinden, wer der Mann an der Spitze ist, und ihn dann unter Druck setzen.«
»Mariers Sierra ist hinter Butlers Wagen aufgetaucht«, bemerkte Newman.
»Ich spreche mit ihm, während Paula mit Monica telefoniert.
Dieser Priel ist bei Ebbe wirklich die reinste Schlammwüste.«
Paula betrachtete ihn, während sie um das Ende des Priels herumfuhren und auf die Straße nach Chichester einschwenkten.
Zwischen häßlichem, von schmalen Wasserrinnen durchzogenem Morast ragten kleine Inseln mit nassem Gras und Schilf auf.
»Da würde ich nicht gern hineinfallen«, bemerkte sie.
»Wenn Sie es täten, würden Sie eingesaugt werden«, teilte Newman ihr mit. »Ich habe einmal gesehen, wie ein Mann aus seinem Ruderboot fiel. Glücklicherweise war es nicht weit draußen, und andere Fischer bildeten mit ihren Booten eine Kette.
Sie schafften es kaum, ihn herauszuholen – er war bis zur Hüfte eingesaugt worden. Sie mußten ihm ein Seil um die Taille schlingen und mit aller Kraft ziehen, um ihn aus dem Schlamm zu befreien.«
Paula schauderte. Der Schlamm hatte stellenweise einen unheimlich grünen Anflug, und der Wind blies einen starken Gestank nach verrottender Vegetation in den Wagen. Bei Flut sieht es hier wesentlich erfreulicher aus, dachte sie. Sie bogen in die am Parkplatz vorbeiführende Straße ein, fuhren am Millstream Hotel vorbei und parkten dann in der Nähe des Berkeley Arms.
Als Paula ausgestiegen war, um zu telefonieren, schlenderte Marier pfeifend an den Mercedes heran. Er stieg ein, setzte sich neben Tweed und erstattete ihm über seine ›kurze Begegnung mit Mr. Winter‹ Bericht. Newman hörte zu.
»Dieser Martin scheint eine Schlüsselfigur in diesem Geheimnis zu sein«, bemerkte Tweed. »Er ist der Mann, der Amber Cottage gemietet hat, was ihn direkt mit dem Mord an Jean Cardon in Verbindung bringt. Und jetzt ist er der Mann, der Winter angewiesen hat, uns zu folgen. Ich wollte, wir wüßten, ob Martin ein Vor- oder ein Zuname ist.«
»Das Problem ist nur«, meinte Newman, »daß es ein ziemlich häufig vorkommender Name ist. Es könnte sogar ein Falschname sein. Kann es sein, daß er der Mann an der Spitze ist, den wir suchen?«
»Das bezweifle ich. X, der Mann an der Spitze, gibt sich sehr viel Mühe, im Hintergrund zu bleiben. Ich könnte mir gut vorstellen, daß Martin sein Stellvertreter und
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