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Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten

Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten

Titel: Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Toporski
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immer starre ich sie an, habe keinen Schritt in Richtung Tür gemacht.
    Da schreit sie plötzlich: »Mein Gott, verstehst du nicht: Wolfi stirbt, wenn nichts passiert! Und du willst ihm nicht einmal diesen Gefallen tun!«
    Also steige ich die Treppen hinauf, quere den Vorplatz, bin völlig unschlüssig, was ich tun soll. Es ist nicht weit bis zum nächsten Hof, und deswegen vergeht, so kleine Schritte ich auch mache, nur kurze Zeit, bis ich vor dem ersten Haus angekommen bin. Ich weiß immer noch nicht, was ich tun soll. Ich stehe da, will zur Tür gehen und kann es nicht. Nehme mich erneut zusammen und bleibe wieder stehen.
    »Ich kann das nicht!«, schreit es in mir.
    Da kommt mir die Idee, das Huhn einfach zu klauen. Klauen ist besser, denke ich, es ist nicht so demütigend wie betteln, weil es keiner sieht. Wie werde ich es anfangen? Leise in den Hühnerstall, vorsichtig bewegen, damit die Biester nicht scheu werden. Und dann schnell eins schnappen und ihm sofort den Hals umdrehen, damit es nicht mehr gackern und mit den Flügeln schlagen kann, wenn ich es mitnehme.
    Aber dann fällt der schöne Plan wieder in sich zusammen: Ich kann das nicht! Stehlen ist ehrlos. Und betteln ist genauso ehrlos. Mir ist zum Heulen zu Mute, weil ich Wolfi ja wirklich helfen möchte. Aber es kommen keine Tränen.
    Unverrichteter Dinge schleiche ich zurück zum Kohlenkeller. Mamas Schimpfen lasse ich stumm über mich ergehen und gucke zu Boden. Ich schäme mich. Schäme mich, weil ich Wolfi nicht geholfen habe und weil ich genau weiß, dass ich das hätte tun müssen. Aber das Betteln oder Klauen hätte mich in genauso tiefe Scham gestürzt. Die Scham war unausweichlich. Es ging einfach nicht, und deshalb weiß ich auch, dass es keinen Zweck hat, es noch einmal zu versuchen. Ich würde es auch bei einem zweiten Versuch nicht schaffen.
    Trotzdem bleibt da ein Rest, eine Wunde. Ich trage eine Schuld gegenüber Wolfi.
     
    Mein Gott, bin ich froh: Er hat es geschafft! Auch ohne Huhn! Mit Milch und Kartoffeln, Gemüse vom Gärtner und Obst, das ich heimlich von den Chausseebäumen pflücke, kommt er langsam wieder zu Kräften. Aber er muss regelrecht wieder laufen lernen, so schwach ist er. Mama auf der einen und Huppe oder ich auf der anderen Seite, so stützen wir ihn. Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis er es wieder richtig kann!
    Jedenfalls ist von mir eine entsetzliche Last abgefallen! Wenn er gestorben wäre... – Besser nicht dran denken!
     
    Jetzt ist das Allerschlimmste passiert: Mama ist krank!
    Auch sie wurde auf den berüchtigten Wagen geladen und nach Kutno gebracht, halb bewusstlos und im Fieber.
    Wenn ich bisher alles ertragen habe – das nicht mehr! Rasend vor Angst habe ich mich gegen Mamas Fortbringen gewehrt, habe auf die Männer eingeschlagen, die sie wegtrugen, gegen den Wagen gehämmert, bis er davonfuhr. So habe ich noch niemals geheult.
    Was soll jetzt aus uns werden? Wer sorgt für uns? Wer betreut Wolfi, der ja selbst noch krank ist? Und wer kümmert sich um Huppe und mich? Ich bin weiß Gott kein Mamakindchen mehr, aber wenn ich jetzt abends nach Hause komme und sie ist nicht da, bin ich jedes Mal ganz fertig. Man fühlt sich so schrecklich allein, so ganz und gar hilflos, wenn man keinen hat, mit dem man reden, den man umarmen und an den man sich vielleicht sogar mal ankuscheln kann.
    Ich bin traurig, und wenn ich morgens aufstehe, ist es immer, als müsste ich erst eine schwarze Wolke verscheuchen, ehe ich mich auf den Weg zu Władka und Michał machen kann.
    Die beiden waren so entsetzt wie ich, und als ich es Władka erzählte, sagte sie: »Dann werde ich jetzt eben ein bisschen auf dich aufpassen.«
    Wenn Władka und Michał nicht wären, wüsste ich jetzt noch viel weniger, was ich tun soll. Władka hilft mir in allem und mit ihr rede ich jetzt wie mit Mama. Trotzdem: Mama ist Mama, und wenn es eine Sehnsucht in mir gibt, dann die, sie zu sehen. Vielleicht auch, ihr zu helfen, so wie sie Wolfi immer geholfen hat.
     
    Die alte Staffa ist wirklich ein Goldstück! Abends kümmert sie sich jetzt rührend um uns.
    »Trinken muss man bei Typhus«, erklärt sie mir, »viel trinken.« Und dann fügt sie noch hinzu: »Kamillentee, das wär’s, was sie braucht.«
    Der Gedanke lässt mich nicht mehr los. Und je länger ich mich damit beschäftige, desto sicherer werde ich: Wenn ich es fertig bringe, Mama Kamillentee zu verschaffen, dann kommt sie durch. Es ist wie eine Wette.
    Und so erkläre ich Władka

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