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Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten

Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten

Titel: Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Toporski
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schlimmer.
    »Nein!«, schreit er. »Lass das! Ich will nicht!«
    Und er windet sich, als ich ihn festhalte, sodass ich seine entzündeten Stellen gar nicht richtig behandeln kann. Aber ich muss weitermachen, muss ihnen beiden wehtun, ob ich das will oder nicht.
    Jeden Tag dasselbe! Für mich ist diese tägliche Tortur kaum weniger Qual als für die zwei. Als sie mich wieder einmal überhaupt nicht an ihre wunden Stellen heranlassen, weiß ich mir nicht anders zu helfen: Ich nehme die Flasche und gieße ihnen, ehe sie sich’s versehen, einen Teil des Inhalts einfach über den Kopf. Erst Huppe und dann Wolfi.
    Laut brüllen sie auf.
    »Bist du verrückt?«, schreien die Frauen herüber. »Sie können blind davon werden!«
    Jetzt weiß ich überhaupt nicht mehr weiter und fange auch noch an zu weinen.
    Die alte Staffa stürzt herzu und wischt den beiden, die die Augenlider fest zusammengepresst halten, mit einem Lappen das Gesicht ab. Immer noch jammern sie.
    »Wie kannst du das tun?«, höre ich von allen Seiten. Anscheinend haben die Frauen nichts Besseres zu tun, als nur auf mir herumzuhacken.
    Bloß die Alte sagt nichts. Wischt nur mit einem trockenen Lappen immer wieder über die Augen von Huppe und Wolfi.
    Wenn sie nun wirklich blind werden? Wenn ihre Augen nicht wieder aufgehen? Statt Hilfe haben sie von mir nur Schmerz, vielleicht Schlimmeres empfangen.
    »Lass nur, es wird schon wieder«, sagt die alte Staffa und streicht über mein Haar.
    Aber noch lange, auch als die beiden längst ihre Augen wieder offen haben, bin ich untröstlich, verfolgt mich das Gefühl von Schuld und Versagen.
     
    Mich trifft der Schlag! Ich komme abends von Władka, stehe in der Tür und traue meinen Augen nicht! Aber dann lasse ich einen Schrei los:
    »Mamaaa!«
    Sie ist wieder da!
    Wie hat sie uns gefehlt! Mit welcher Sehnsucht haben wir auf diesen Augenblick gewartet! Mama stehen Tränen in den Augen, aber sie lächelt. Zum Jubeln hat sie nicht die Kraft.
    Es ist unbeschreiblich schön, dass sie wieder da ist! Ich habe sie so vermisst! Als nicht nur Wolfi krank war, sondern Huppe und er auch noch Furunkel kriegten, habe ich mich für alles verantwortlich gefühlt, so, als hinge das Wohl der ganzen Familie allein von mir ab. Nun ist diese Riesenlast von meiner Seele abgefallen.
    Natürlich können Huppe und Wolfi es nicht lassen, die Sache mit dem Petroleum zu erzählen. Aber Mama versteht, was da passiert ist, und nimmt mich in Schutz. Sie erklärt ihnen, dass ich mir einfach nicht mehr anders zu helfen gewusst habe. Und da kann ich nur nicken! Ich glaube, ich habe diese Erklärung von Mama gebraucht, um mit der ganzen Sache fertig zu werden. Jetzt erst ist das für mich vorbei, abgehakt.
     
    Mama kann immer noch nicht arbeiten – und ohne Arbeit kein Essen! So viel, dass es für uns alle reicht, kann ich von Władka und Michał nicht mitbringen.
    Aber immer wieder wundere ich mich, was den Polen aus dem Dorf alles einfällt: Eine Frau kommt, bringt Wolle und bittet Mama, ihr einen Pullover zu stricken. Als Gegenleistung gibt sie uns Milch und Brot. Mir ist schleierhaft, woher sie das mit Mamas Krankheit wissen! Dass es sie überhaupt interessiert...
    Und weil sich herumspricht, dass Mama gute Arbeit leistet, kommen bald auch andere, mit Wünschen nach Socken, Handschuhen und so weiter. Mama ist sehr glücklich darüber, nicht nur, weil sie jetzt wieder etwas »verdient«, sondern auch, weil sie eine sinnvolle Arbeit leisten kann. Aber ein Wunder ist es für mich doch.
    Als ich Mama darauf anspreche, muss auch sie eine Weile nach einer Erklärung suchen. Dann sagt sie: »Weißt du, wir haben damals nie einen Unterschied zwischen Polen und Deutschen gemacht, auch Papa nicht. Und da machen sie jetzt auch keinen.«
    Plötzlich muss ich daran denken, wie sie uns angefahren hatte, als eines von uns Kindern einmal von den »Polacken« sprach.
     
    Die Tage werden kürzer und dunkler und häufig liegt Nebel über dem Land. Anna bleibt jetzt im Stall und bekommt Heu von mir, während ich die übrige Zeit mit Janusz verbringe. Er ist jetzt ein Jahr alt, fängt gerade an zu laufen und brabbelt ständig vor sich hin, wobei er die ersten richtigen Wörter einfließen lässt. Aber ständig muss ich auf der Hut sein, dass er nichts anstellt. Gott sei Dank schläft er zwischendurch immer wieder und gibt eine Weile Ruhe.
    Michał ist ganz süß zu seinem Sohn, immer wenn er Zeit hat, spielt er mit ihm. Er wirft ihn hoch und fängt ihn wieder,

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