Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten
sie wieder herausholen kann, auch ich nicht.
Ich bewege mich, als ob es eine andere Person täte. Das bin gar nicht ich, die sich jetzt mechanisch die Tränen abwischt. Nicht ich, die sich die Lumpen um die Füße wickelt, ihren Mantel greift und die Mütze aufsetzt. Die rote Mütze, die ich noch beim letzten Weihnachtsfest auf unserm Hof geschenkt bekommen habe.
Es gibt keinen Abschied. Władka lehnt, mit Janusz auf dem Arm und Tränen in den Augen, an der Wand. Wenn ich jetzt hingucke, heule ich los. Also gucke ich nicht hin.
Hinter der Tannenhecke steht ein offener Pritschenwagen. Vom Haus kann man ihn kaum sehen, und es sieht aus, als hätten sie ihn da verstecken wollen. Feige sind sie also auch!
Ich steige mit dem Mann auf die Ladefläche.
Der Wagen fährt ab.
Es ist kalt. Wir sitzen zwar hinter dem Fahrerhaus, aber der Fahrtwind weht in Wirbeln um die Ecke und ich verkrieche mich so tief es geht in meinen Mantel. Der Mann neben mir schweigt. Ich klappere mit den Zähnen. Wir fahren lange, und je länger es dauert, desto klarer wird mir, dass ich heute Abend nicht in unserem Kohlenkeller schlafen werde. Wer wird Mama sagen, was geschehen ist? Wer weiß überhaupt, wo ich hinkomme? Aber mir ist alles so gleichgültig. Immer noch habe ich das Gefühl, zuzuschauen, wie irgendein kleines Mädchen auf einem offenen Lastwagen in Eiseskälte weggefahren wird.
»... die haben eine wie dich angefordert«, brummt der Mann irgendwann.
Ich verstehe ihn nur halb und obendrein ist es mir egal. Im Augenblick ist mir so kalt, dass ich nur daran denken kann, wann diese Kälte endlich aufhört. Meine Füße fühlen sich an wie Eisklötze und meine Hände sind gefühllos.
Vor einer schäbigen Kate hält der Wagen, die Männer steigen ab und ich springe unbeholfen von der Ladefläche. In den Füßen habe ich kaum Gefühl. Eine Frau tritt aus der Haustür, mit aufgelösten Haaren, einen Säugling auf dem Arm und zwei andere Kinder am Rockzipfel. Hinter ihr erscheint ein Mann, unrasiert und in Trainingshose mit Unterhemd.
Die Augen sagen mir nichts, diese Leute sind nicht böse und nicht freundlich, sie scheinen uninteressiert und irgendwie stumpf.
Sie tauschen mit den Milizmännern noch ein paar Worte, dann fahren die ab und ich werde durch die Tür geschoben.
Ein düsterer Raum. Aber er ist warm! Meine Finger tauen allmählich wieder auf, und das tut weh, ekelhaft weh sogar. Mit steifen Fingern ziehe ich die Handschuhe aus und blase meinen warmen Atem zwischen die aneinander gelegten Hände. Langsam lässt der Schmerz nach.
»Zimno, co?« 13 , sagt der Mann und grinst mich an.
Ich nehme es als Begrüßung und nicke.
Eine Hütte aus Lehm hat mich aufgenommen, mit Strohdach und kleinen Fenstern. An einer Wand steht ein kleiner Herd mit zwei Kochstellen, sein Ofenrohr führt direkt durch die Mauer ins Freie. Außerdem gibt es einen Tisch, eine Bank, ein paar Hocker, ein Regal und ein Bett für die Eltern. Mehr als diesen einen Raum gibt es nicht. Hier wohnt die ganze Familie, hier wird gekocht, gegessen, gewaschen und geschlafen. Mich mitgezählt sind wir sechs Personen. Einen Stall habe ich beim Hineingehen nicht gesehen, also werde ich für Tiere nicht zu sorgen haben.
»Rozbierz się!«**, sagt die Frau. Auch ihr Ton ist nicht unfreundlich.
Ich ziehe meinen Mantel aus und wickele die Lappen von den Füßen. Der Lehmboden fühlt sich im ersten Augenblick sehr fremd unter den Sohlen an, aber nicht unangenehm.
Die Frau spricht mich an: »Wenn wir zur Arbeit sind, versorgst du die Kinder. Schon mal gemacht?«
Ich nicke.
Die Frau rückt mir einen Stuhl hin, dann drückt sie mir erst den Säugling in die Hand und dann ein Fläschchen.
»Irena«, sagt sie und stellt mir damit die Kleine vor. Routiniert und betont lässig gebe ich dem Säugling die Flasche: Die Frau soll sehen, was ich kann!
»Geht ja«, sagt sie, als ich fertig bin.
Es ist nicht klar, ob das nun »geht sehr gut« oder »geht gerade so« heißen soll.
Der Säugling wird mir abgenommen, dafür kriege ich einen Besen in die Hand. Auskehren ist ja eigentlich nicht gerade schwierig, aber hier liegt dermaßen viel auf dem Boden herum, dass ich entweder erst einmal gründlich aufräumen oder aber drum herum fegen muss. Ich entscheide mich für das Zweite. Ab und zu schiele ich zu der Frau hinüber, doch sie scheint keine Einwände zu haben. Als ich den Schmutz schön auf einem Haufen beisammenhabe, schaue ich mich nach einer Kehrrichtschaufel
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