Kalteis
blau. Ja, dunkelblau müsste es sein. Ein dunkelblaues Strickjäckchen. So ein Trachtenjäckchen.
Am Dienstag, na, da bin ich wieder die Strecke gefahren und wieder ist mir das Mädchen begegnet. Auf dem gleichen Straßenabschnitt war es gewesen. Kurz nach Germering und kurz vor der Abzweigung in die Staatsstraße. Ich hab sie gleich erkannt. An dem Jäckchen. Diesmal war es auf dem Gepäckträger eingeklemmt.
In ihr Gesicht habe ich nicht sehen können. Obwohl ich es versucht habe. Aus Angst, die Scheinwerfer könnten sie blenden, hat sie sich die Hand seitlich vor das Gesicht gehalten. Dabei hatte ich extra abgeblendet, aber das Scheinwerferlicht an meinem Wagen ist schon recht stark. Noch gedacht habe ich mir: »Da ist sie wieder. Immer um die gleiche Zeit. Da kannst wirklich die Uhr danach stellen.«
Und wieder war sie alleine unterwegs. Ich bin dann recht zügig an ihr vorbeigefahren.
Etwa 100 Meter vor der Radfahrerin, also noch etwas näher an Germering, habe ich an diesem Tag dann noch jemand anderen gesehen. Von meiner Fahrtrichtung aus am linken Straßenrand ist einer im Wald hinter einem Baum gestanden. Sein Fahrrad ist im Graben gelegen. Ich habe es in meinem Scheinwerferlicht genau sehen können, wie es dagelegen ist. Ich sitz ja etwas höher in meinem Wagen und da hat man eine gute Sicht. Und die Scheinwerfer, die leuchten auch alles recht gut aus.
Wie der Mann vom Lichtkegel meines Scheinwerfers erfasst wurde, da war ich bestimmt etwa bis auf zehn Meter an ihn herangekommen. Plötzlich neigt der sich vom Baum weg, in die Fahrtrichtung hinein. So als wolle er nach jemandem Ausschau halten. Genau in die Richtung, aus der die Radfahrerin gekommen ist.
Ich habe mir noch gedacht: »Der schaut aus, als ob er auf jemanden lauern würde.« Ausgesehen hat es zumindest so. Oder als ob er jemanden beobachtet, selbst aber nicht gesehen werden will.
Ob der auf das Mädel wartet, habe ich mir noch gedacht.
Ich bin zu schnell an ihm vorbeigefahren, als dass ich ihn genauer beschreiben könnte. Eine Sportmütze hat er aufgehabt, da bin ich mir aber sicher. Was er sonst noch getragen hat, weiß ich nicht. Bin ich doch mit einer ziemlichen Geschwindigkeit an ihm vorbeigefahren. Auch bei der Größe müsste ich schätzen. Er stand doch etwas abseits hin ter dem Baum, da kann man sich leicht täuschen. Und wie er so hinter dem Baum hervorgelugt hat, ist er auch noch in die Knie gegangen. Kurz danach bin ich dann in die Staatsstraße eingebogen und bereits auf der Landsberger Straße hatte ich den ganzen Vorgang vergessen, mir kam es erst jetzt wieder in den Sinn, nachdem Sie mich danach gefragt haben.
*
Für Amalia Ferch, Bedienung in der Bahnhofsgaststätte Lochhausen, war dieser Dienstagabend recht ruhig verlaufen. Dienstags ist es meistens ruhig. Wird sie später dem Beamten sagen. Die Leute müssen am anderen Tag zur Arbeit, und außer den Stammgästen ist dann keiner in der Gaststätte. Um den Stammtisch herum waren sie gesessen. Wie immer. Meist die Gutsituierten der Gemeinde. Karten hatten sie gespielt. Schafkopf, wie fast immer. Die Fünfzigerl, Zehnerl und Fünferl, keine Pfennige, in den kleinen Tellern neben den Bierfilzen liegend. Fast jeden Abend trafen sie sich zum Dämmerschoppen, führten Disput über Politik, die Partei und weiß Gott was noch alles. Oder trafen sich einfach nur so zum Watten oder Schafkopf.
Anders an den Freitagabenden, da war die Runde dann meist etwas gemischter. Die Arbeiter hatten ihren Lohn bekommen und mischten sich nun auch unter die Wirtshausgänger und Kartler. Meist an separaten Tischen, und der Einsatz war auch etwas niedriger. Unter der Woche können sich manche von ihnen nur einen Krug Bier über den Gassenverkauf leisten. Ihre Kinder schickten sie dann: »Aber gut einschenken. Der Vater ist ganz müde von der Arbeit heute.«
Und an den Wochenenden änderte sich das Publikum erneut. Da kamen sie, die Ausflügler, aus dem nahen München. Manche mit den Rädern, andere mit der Bahn. Eher selten die feinen Herrschaften mit den eigenen Automobilen. Kehrten ein, machten Brotzeit, die Stadtleut. Samstag und Sonntag, das waren die Hauptgeschäftszeiten. »Da haben wir dann auch den Gartenbetrieb geöffnet und nachmittags gibt es selbst gebackenen Kuchen für die Damen und Kaffee. Sehr gerne bestellen die Gäste dann auch einen blonden Engel oder einen süßen Moselwein.«
In den Sommermonaten kommt auch der eine oder andere Feriengast aus Köln, Berlin oder
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