Kalteis
»Und bei dir?«, will sie Anna fragen. Als ob diese ihre Gedanken hätte lesen können, antwortet sie der Kathie, ohne, dass die sie gefragt hat.
»Bei mir kannst nicht schlafen, schlaf ich doch selbst bei der Mitzi auf dem Kanapee, weil ich keine Bleibe hab, seit mich mein Verlobter, der Luck, einfach rausgeworfen hat. Das Schwein. Die Mitzi, die hat's gut, ihr Verlobter, der aus Gelsenkirchen, der zahlt die Wohnung. Tja, so ein Massel musst erst einmal haben, einen, der dir die Wohnung zahlt und dich aushält, und einen anderen, der auf dich aufpasst. Das wär’s. In die Marienherberge könntest gehen. Hast zwei Mark?«
Kathie, die stumm neben der Anna herläuft, nickt. Ja, zwei Mark, die hat sie schon. »Dann hast ja einen Platz zum Schlafen. Und wenn es dir dort gar nicht gefällt, du bist doch ein sauberes Mädel, suchst dir halt auch einen Tschamster. Der Blonde, der tat sich deiner schon annehmen. Einen Platz zum Schlafen hättest dann eh, bis sich was Besseres findet. Schau nicht so, das war bloß ein Spaß.« Zur Marienherberge in die Goethestraße gehen sie und dort schreibt sich Kathie dann ein. Kommen müsste sie am Abend und dann würde ihr ein Bett zugeteilt werden. Aber nicht zu spät, so gegen sieben, spätestens acht sollte sie schon da sein, wenn sie noch einen guten Platz haben will. Eine warme Suppe würde sie am Morgen auch noch bekommen, danach müsste sie die Herberge verlassen. Tagsüber darf keiner in der Herberge sein. Und was wäre, wenn sie nun doch noch etwas anderes zum Schlafen finden würde, hat Kathie den Herbergsvater noch gefragt. »Wennst nicht kommst, ja, dann ist das Geld halt weg. Wieder zurückzahlen, das machen wir nicht. Und nicht vergessen, bis zehn Uhr musst da sein. Sonst sind die Betten weg.«
Kathie holt die zwei Mark aus ihrer Geldbörse und legt sie auf den Tisch. In der Liste muss sie gleich neben ihrem Namen noch unterschreiben und dann kann sie gehen. Gemeinsam mit der Anna läuft sie noch ein bisschen durch die Stadt, bis sich Anna von ihr trennt, weil sie noch etwas zu erledigen hätte. Was das war, hat sie der Kathie nicht erzählt, und die hat sie nicht gefragt. So ist Kathie alleine weiter durch München. Sieht sich die Stadt an, die Schaufenster, ohne Ziel, einfach so geht sie durch die Straßen. Irgendwann an diesem Tag steht sie dann in der Heyse-Straße vor dem Geschäft der Familie Hofmann. Wie sie hier hingekommen ist in die Heyse - Straße, sie weiß es nicht, ist sie doch einfach nur ohne Ziel gelaufen. Sie zögert noch ein bisschen, hadert mit sich selbst, ob sie hineingehen soll oder nicht. Aber schaden kann es ja nichts. Und so geht sie hinein.
Drinnen im Laden sieht alles noch so aus, wie sie es in Erinnerung hat. Die Hofmann steht hinter dem Ladentisch wie eh und je, und Kathie geht gleich auf sie zu. »Ich bin die Kathie, die Tochter der Hertl aus Wolnzach«, stellt sie sich vor. Die Hofmann stutzt einen kurzen Augenblick und dann erkennt sie die Kathie. »Ja, mein Gott, die Kathie bist du. Die Kathie, die die roten Garnrollen so gerne mag. Ein großes Mädchen bist geworden, Kathie.«
Ja, den Brief, den Brief, den Kathie geschrieben hat, den hat sie bekommen, aber bei ihnen ist leider keine Stelle frei. Die Zeiten sind so schlecht, da muss man es sich überlegen, ob man noch einen einstellt oder nicht. Aber umgehört hat sie sich, und der Herr Rechtsanwalt, die gnädige Frau sei ja so eine gute Kundschaft von ihnen, die suchen noch ein Dienstmädchen, ein Kuchlmensch, und das wäre doch etwas für sie, die Kathie. Diese lässt sich die Adresse auf einen Zettel notieren und verspricht, sie würde gleich noch bei dem Herrn Rechtsanwalt und der gnädigen Frau vorstellig werden. Aber wie sie den Zettel in die Tasche steckt, da weiß sie schon, dass sie nicht vorbeischauen wird. Eine Dienstmagd, ein Kuchlmensch, wollte sie nicht werden. Ein Dienstbot, da hätte sie ja gleich zu Hause bleiben können in Wolnzach. Aber anmerken, nein, anmerken lässt sie es sich nicht. Sie lacht und bedankt sich für die Hilfe und natürlich wird sie gleich bei dem Herrn Rechtsanwalt vorsprechen.
Wie es denn zu Hause in Wolnzach so ginge, fragt die Hofmann die Kathie noch. Die Mutter sei immer unterwegs mit ihrem Hausierhandel und der Vater, der Vater, der wird immer mürrischer. Aus dem Haus habe er sie haben wollen, die Kathie. Darum sei sie auch nach München gegangen, in die große Stadt. Gehofft habe sie, dass sich hier leichter etwas finden lassen
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