Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kalteis

Kalteis

Titel: Kalteis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Maria Schenkel
Vom Netzwerk:
einer anderen Stadt. Sie kommen mit der Bahn, bleiben ein paar Tage zur Sommerfrische. Besuchen München, die »Hauptstadt der Bewegung«, manche kommen auch extra zum Oktoberfest angereist.  An diesem Tag, es war der letzte im August, ist es noch ruhiger als sonst geblieben. Amalia Ferch war das nur recht, so würde sie wenigstens rechtzeitig nach Hause kommen. Sie arbeitete immer am Dienstag und manchmal an den Wochenenden in der Gastwirtschaft. Sie war gerade dabei, die Tische abzuwischen und die Gaststube schon etwas aufzuräumen. Die letzten Kartler hatten das Lokal vor circa zehn Minuten verlassen, als gegen drei viertel zwölf dieser Mann die Gaststätte betrat. Amalia hat ihn gefragt, ob er eine Halbe haben möchte. Nur zugenickt hat er ihr. Sie hat die Halbe eingeschenkt und an den Tisch gebracht.
    Sich selbst an den Seitentisch gesetzt, der direkt neben dem Ofen steht. Der würde bestimmt auf den letzten Zug nach München warten, das hieße für sie noch eine weitere halbe Stunde bis zur Abfahrt des Zuges. Keine Aussicht, die sie besonders freute. Müde war sie an diesem Abend und nach Hause wollte sie. Die Beine taten ihr weh nach dem langen Tag, und sie hatte noch ein ganzes Stück mit dem Fahrrad zu fahren, ehe sie zu Hause war, und sich endlich in ihr Bett legen konnte.  Sie fing an, die Zeitung, die auf dem Ofentisch lag, durchzublättern. Den Gast konnte sie aus dem Augenwinkel heraus sehen. Seltsam benahm er sich.
    Sie konnte sich gar nicht auf den Zeitungsartikel konzentrieren. Hinter der Zeitung beobachtete sie diesen Mann. Während er zum ersten Mal zum Trinken ansetzte, hatte er sich von seinem Platz erhoben. Setzte das Glas an und trank im Stehen.  Danach stellte er das Glas auf den Tisch zurück. Setzte sich erneut auf seinen Stuhl. Blieb jedoch wieder nur einen kurzen Augenblick sitzen. Griff wieder nach dem Glas, stand wieder von seinem Stuhl auf. Trank. Diesmal blieb er jedoch stehen, nachdem er getrunken und das Glas auf den Tisch zurückgestellt hatte.
    Er wechselte von einem Bein auf das andere. Immer wieder. Trat auf der Stelle. Dann schüttelte er sein Bein. Amalia hatte den Eindruck, der Mann vibriere am ganzen Körper. Diese Unruhe, die von ihm ausging, schien fast greifbar. Fortwährend musste sie ihn ansehen. Die Zeitung in der Hand, blickte sie über deren Rand hinweg immer in Richtung des Gastes. Dieser hatte es nicht bemerkt, stand er doch seitlich zu ihr. Den Blick geradeaus gerichtet. Sie lugte hinter ihrer Zeitung hervor, konnte sein Profil sehen. Die kräftige Nase, das Kinn. Die Wangen glatt rasiert. Einen verkrusteten Kratzer konnte sie auf seiner Wange sehen. Wie sie annahm, vom Rasieren. Die Stirn verdeckt durch eine Sportmütze, die er sich tief ins Gesicht gezogen hatte.
    Ungewöhnlich war noch, dass er an so einem milden Abend einen Mantel trug. Die Farbe bräunlich. Der Stoff, sie vermutete Loden, ohne Gürtel, mehr ein Hänger mit glattem Rückenteil. Dazu bräunliche, lange Hosen. So an die 30 Jahre alt dürfte er gewesen sein. Von mittelgroßer Statur, schlank, soweit sie es sehen konnte.
    Es war ihr schon fast peinlich, wie sie ihn anstarrte. Sie konnte sich diese Nervosität einfach nicht erklären. Der Gast setzte sich erneut. Schien sich etwas zu beruhigen.
    Amalia wandte ihren Blick wieder dem Artikel in der Zeitung zu.  Unvermittelt sprang er wieder auf und verließ ohne ein Wort eilig die Gaststätte. In der Annahme, er hätte sie um die Zeche geprellt, ließ Amalia die Zeitung fallen, schickte sich an, dem Unbekannten nachzulaufen. Noch im Vorbeilaufen warf sie einen Blick auf den Tisch mit dem nur zur Hälfte geleerten Glas und sah das Geld, das er neben dem Glas hatte liegen lassen. Zwei Zehnpfennigstücke, ein Fünfzigpfennigstück und zwei einzelne Pfennige.
    Sie nahm es, beruhigt, steckte es in ihre Börse. Danach räumte sie das Glas vom Tisch. Stellte die Stühle alle der Reihe nach mit den Sitzflächen nach unten auf die Tische, löschte das Licht, sperrte ab und fuhr nach Hause.  Keinen einzigen Gedanken verschwendete sie mehr an den Gast und sein seltsames Verhalten.
    Der Vorfall kam ihr erst nach ein paar Tagen wieder in den Sinn, als sie von dem Mädchen hörte.
    *
    Wie Lina Führer der Polizei am 1. September 1937 zu Protokoll gab, war es gegen zehn Uhr abends, als sie die Schreie hörte.
    Am vorherigen Abend, dem 31. August 1937, gegen 22 Uhr war es gewesen. Die Führer hatte sich in den ersten Stock des Pfarrhauses begeben. Die

Weitere Kostenlose Bücher