Kalteis
Nur noch der mit der Sportmütze war da.
Nachgerufen hatte er ihr etwas, als sie an ihm vorübergegangen war. Sie hatte es nicht richtig gehört. Wollte es auch gar nicht wissen. Aber umgedreht hatte sie sich, und da grinste er ihr ins Gesicht.
Arschlöcher!, hat sie sich noch gedacht. Hinter ihrem Rücken hatte sie ein Lachen gehört. Schneller ist sie daraufhin gegangen. Nein, Angst hatte sie keine. Die Straße war doch hell erleuchtet und sie war ja auch nicht alleine unterwegs. Noch in Rufweite vor ihr waren die Pirzer Theresa und deren Mann auf den Rädern.
Aber trotzdem hat sie sich auf einmal gewünscht, der Georg wäre mit ihr mitgefahren. Sie hätte ihn nicht davon abhalten sollen. Aber dann hätte er ja diesen langen Weg nach Hause zurück gehabt. Nein, besser wäre es gewesen, heute bei ihm zu bleiben. Ja, das wäre besser gewesen. Sie bereute jetzt, es nicht getan zu haben. Noch während sie an den Georg dachte, ist der mit de r Schirmmütze an ihr vorübergeradelt. Und als sie auf der Höhe der Süddeutschen Bremsenfabrik war, da ist ihr dieses Ehepaar mit Kind begegnet. Gefragt hat sie sich, warum die so spät mit dem Kind unterwegs waren. In seinem Kinderwagen ist es gesessen. Von der Mutter geschoben, der Vater ist nebenher gegangen. Kurz vor dem Limonadenkiosk war es, dort ist sie ihnen begegnet.
Den Kiosk kennt sie nur zu gut. In der Fabrik war sie als Lehrmädchen. In fast jeder Mittagspause hat sie sich hier an diesem Kiosk etwas gekauft. Die anderen Lehrmädchen haben sie schon ausgelacht. Sie hat sich immer dasselbe gekauft. Jeden Tag. Einen Krapfen. Den hat sie dann ausgehöhlt. Das Innere, die Marmelade und den Teig, hat sie wie immer beiseite gelegt. Den Krapfen selbst, den hat sie dann gefüllt mit Mettwurst.
Komisch, dass sie gerade jetzt daran denken muss. Nach der Lehre war sie dann entlassen worden. Seither hat sie nie mehr einen Krapfen an diesem Kiosk gekauft. Jetzt kauft sie sich den Krapfen in der Kantine im Werk. Aber aushöhlen und Mettwurst reinstreichen, dass macht sie immer noch. Die Mädchen in der Buchhaltung bei BMW, die lachen genauso darüber und schütteln die Köpfe, wie damals die in der Bremsenfabrik.
Alles das geht ihr durch den Kopf, so hat sie ihn kaum bemerkt, den Kerl mit der Sportmütze. Hat gar nicht mitbekommen, wie er sein Fahrrad neben dem Kiosk abgestellt hat und ihr nun den Weg versperrt. Breitbeinig mit einem Grinsen.
»Na, hast jetzt für mich Zeit? Meinen Freund hab ich heimgeschickt.«
»Lass mich in Frieden!«
»Wer wird denn gleich so pampig sein. Komm mit und halt dich ruhig, dann passiert dir auch nichts. Ich brauch's gleich hier, los, stell dich nicht so an. Du mit deinem fetten Arsch. Der hat mir gleich schon gefallen.«
»Lass mich in Ruhe, Scheißkerl. Hau ab! Ich will nichts von dir!« Sie will an ihm vorbei.
Als sie auf gleicher Höhe seitlich zu ihm steht, packt er sie am Hals. So schnell und unvermittelt, sie hat nicht damit gerechnet.
Sie wehrt sich. Sie lässt sich das nicht gefallen. Sie schlägt um sich. Er ist stärker. Hat dennoch Mühe, sie festzuhalten. Dann zieht er sie zu Boden. »Lass das, das macht mich nur noch wilder. Du Schlampe!«
Sie versucht alles. Windet sich. Schlägt um sich. Versucht ihn zu kratzen, zu beißen. »Wehr dich, wehr dich, wehr dich!«, ist alles, was sie denken kann.
»Scheißkerl. Lass mich in Ruhe!«
»Halt dich still, sonst erschieß ich dich! Stillhalten sollst!«
Sie hält sich nicht still. Sie will sich nicht stillhalten. Will sich wehren. Spürt etwas kaltes Metallenes im Nacken. Gleich darauf einen Schmerz, der ihr fast die Besinnung raubt. Sie will sich weiter wehren. Sie will um sich schlagen. Sich nicht geschlagen geben. Trotz des Schmerzes. Will, will, will ...
Aber weder Arme noch Beine gehorchen mehr. Sie kann sich nicht mehr bewegen, nicht mehr rühren. Kann sich nicht mehr rühren! Panik erfasst sie. Was hat dieser Scheißkerl mit ihr gemacht? Was hat er gemacht?
Sie schreit. Und schreit. Schreien ist das Einzige, das Einzige, das ihr geblieben ist. Sie schreit, wie sie so am Boden liegt, hinter dem Kiosk. Sie schreit um ihr Leben. Wegen der Schmerzen. Trotz der Schmerzen. Schreien so lange es geht. Schreien. Schreien.
Die Radfahrer, die Familie; Mutter, Vater, Kind, einer muss sie doch hören. Muss sie doch hören!
Der Kerl, er lässt nicht ab von ihr. Sie spürt seinen Körper auf dem ihren liegen.
Spürt das Gewicht wie eine Zentnerlast. Kann ihn nicht
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