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Kalteis

Kalteis

Titel: Kalteis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Maria Schenkel
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fortstoßen. Kann ihn nicht abschütteln. Kann sich nicht bewegen. Sich nicht rühren.
    Scheißkerl, Scheißkerl, Scheißkerl!
    Er hat etwas in der Hand. Ein Stück Stoff. Sie erkennt den Stoff.
    Es ist der weiße Stoff ihrer Schlupfhose.  Das Schwein, er hat ihr den Schlüpfer ausgezogen.
    In der Hand hält er den Stoff, er stopft ihn ihr mit seinen Händen tief in den Mund.
    Sie kann sich nicht wehren. Liegt nur da, kann sich nicht wehren. Tief in den Rachen hinein stopft er ihr den Schlüpfer. Das Schreien erstickt.
    Sie spürt den Würgreiz. Spürt den Schmerz im Rachen. Merkt, wie sie keinen Atem mehr holen kann. Verzweifelt versucht sie Luft zu bekommen. Luft! Luft, die immer weniger wird. Luft, nach der sie verzweifelt ringt. Luft!
    Sie kann nicht schreien. Nicht schreien. Nicht atmen. Nicht. Keine Luft. Keine.

Donnerstag und Freitag
    Um halb neun ist der Chauffeur bereits beim Soller im Tal. Eine halbe Stunde vor der vereinbarten Zeit. Gedrängt hatte es ihn, das Mädchen wiederzutreffen. Den ganzen Tag wusste er nichts Richtiges mit seiner Zeit anzufangen. Begonnene Arbeiten ließ er liegen und verschob sie auf später. Um kurz nach sechs bricht er von zu Hause auf. Zu Fuß läuft er die ganze Strecke bis ins Tal. Fährt nicht mit der Straßenbahn, will nicht noch eher da sein.
    Im Wirtshaus muss er nicht lange nach ihr suchen. Sie sitzt wieder am selben Tisch. Alle sind sie da, wie am Tag zuvor, der Hans sitzt zwischen der Kathie und der Mitzi. Selbst der Blonde sitzt wieder an seinem Platz, so als seien sie nie fortgegangen.  Er ist noch nicht richtig in der Wirtsstube, noch zwischen Tür und Angel, da hat sie ihn schon gesehen. Gleich springt sie auf von ihrem Platz und läuft zu ihm herüber.
    »Warum bist schon so früh da? Hab dich noch gar nicht erwartet. Setz dich zu uns an den Tisch.« Nicht zu Wort lässt sie ihn kommen. Sie strahlt über das ganze Gesicht. Die Augen leuchten vor Freude. Er spürt, wie sie ihn bei der Hand nimmt. Weich und warm fühlt sich ihre Hand in der seinen an. Er, der Chauffeur, zögert noch kurz, zieht die Hand ein wenig zurück. Aber dann lässt er sich von ihr führen, hinüber zu den anderen an den Tisch. Setzt sich gleich neben sie.
    Und wieder erzählt sie ihm den ganzen Abend. Aus ihr  heraus sprudelt es. Auf der Wiesn war sie heute. Ob er denn auch schon draußen gewesen sei? A chterbahn ist sie ge fahren. Grad schön war’s gewesen. Geschrien hat sie ganz laut, weil es doch so ein komisches Gefühl ist im Bauch, wenn der Wagen hinuntersaust. So ein Kitzeln, kaum zu beschreiben. Und bei den Schiffsschaukeln, da war sie auch. »Geschaukelt bin ich. Geschaukelt bis hinauf in den Himmel. Noch ein bisschen und ich flieg hinein in die Wolken, wie ein Vogel, hab ich gedacht. So leicht war mir. Natürlich weiß ich, dass das nicht geht. Aber wenn einer so hoch schaukelt, dann wird einem ganz leicht und dann glaubt man wirklich, wenn auch nur für einen ganz kurzen Augenblick, für den Bruchteil einer Sekunde, einen Wimpernschlag, man würde fliegen. So leicht ist einem da ums Herz.«
    Ganz erhitzt sieht sie aus von all dem Erzählen. Rote Wangen hat sie bekommen, und die Augen sind noch strahlender geworden. Geschaukelt hat sie, wie damals, als sie beim Wallfahrten war mit ihrer Patin. Als kleines Kind. Erzählt sie dem Chauffeur.  Mit der Mutter war sie zur Patin gefahren. Sie war noch keine zehn. Und von dort, wo die Patin wohnt, da sind sie bis nach Eichelberg. »Und das ist recht weit. Im Dunklen, ganz in der Früh, sind wir aufgebrochen. Durch die Nacht sind wir gegangen, bis hinüber zur Kirche. Und wie wir ankamen, da war es immer noch dunkel.« In die Kirche sind sie rein, mit all den anderen Wallfahrern. Aus dem Dunkel, aus der Nacht rein in die Kirche, die erleuchtet war mit lauter Kerzen. Ausgesehen hat es, als hätte sich der Himmel geöffnet. Als sei sie rein ins Paradies. Erzählt sie ihm. So hell sei es gewesen. Und anschließend, nach dem Gottesdienst, sind sie dann auf die Kirmes gegangen. Und mit dem Kettenkarussell und der Schiffsschaukel hat sie fahren dürfen. Und die Stände. Von Stand zu Stand ist sie gegangen mit der Tante. Nicht satt hat sie sich sehen können. Nicht ent scheiden hat sie sich können, was nun schöner war an jenem Tag, die Kerzen in der Kirche oder die Kirmes.
    Während sie redet und redet, sieht der Chauffeur das Mädchen immerzu an. Und sie gefällt ihm immer mehr, mit jedem Satz. Das runde Gesicht, die Stimme, alles

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