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Kalter Amok

Titel: Kalter Amok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David L. Lindsay
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das zu verstehen war. Wieso, zum Teufel, kaufte sich jemand zwei identische Anzüge? Würde Dystal den einen tragen, bis er zur Reinigung mußte, und dann den anderen anziehen? Würde er wochenweise die Anzüge wechseln oder vielleicht täglich? Oder würde er einen beiseitelegen in einer Art Vorratsaktion, bis der andere abgetragen war wie der rostfarbene Freizeitanzug?
    Glücklicherweise entdeckte dann Haydon an der rechten Schulter des einen Anzugs einen der bei Double-knit-Stoffen unvermeidlichen Knoten im Material. Von nun an beobachtete Haydon die Sache mit verstärktem Interesse. In den sechs Wochen, seit Dystal die Anzüge besaß, hatte er sie in keiner festen Folge getragen. Der Knoten war nur unregelmäßig zu sehen. Es schien, als ob Dystal jeden Morgen einfach in den Schrank langte und einen Anzug zu fassen bekam, wobei es ihm egal war, ob er dabei den, der rechts oder den, der links hing, erwischte. Es hätte Haydon auch sehr gewundert, wenn der Lieutenant methodisch vorgegangen wäre.
    An diesem Morgen trug Dystal den Anzug ohne Knoten im Stoff, als er sich in seinem Drehstuhl zurücklehnte und gelassen Haydons Bericht las. Die beiden Männer tranken dampfenden Kaffee, Haydon aus einem Pappbecher vom Automaten in der Bereitschaft, und Dystal aus einer plumpen Thermoskanne.
    Haydon rieb sich die Augen, hatte viel zu wenig geschlafen und wünschte, er könnte das winzige Hitachi-Radio, das hinter Dystal auf einem Aktenschrank stand, zum Fenster hinauswerfen. Es spielte unaufhörlich, und die Lautstärke war so schwach, daß man von der Country-und-Western-Musik nur hier und da einen Ton oder ein paar Fetzen vom Text verstehen konnte. Die nur stoßweise an sein Ohr dringenden Laute machten Haydon in einer Weise verrückt, wie es nur bei der chinesischen Wasserfolter der Fall gewesen wäre. Er versuchte verzweifelt, nicht darauf zu achten.
    Ohne die Augen von dem Bericht abzuwenden, langte Dystal nach der Thermoskanne und trank einen langen, tiefen Schluck vom, wie Haydon wußte, stärksten und schwärzesten Kaffee, den man sich denken konnte. Dystal schlürfte vernehmlich und mit Genuß, dann legte er in einer Geste, die fast kindlich wirkte, eine, seiner riesigen Bärenpranken an seinen Kopf, während er weiterlas.
    Haydon betrachtete die gewaltige Pranke und erinnerte sich an eine Nacht in einer schmalen, dunklen Gasse im strömenden Regen, als Dystal, stumm vor Zorn, einen kopulierenden Rauschgifthändler vom halbnackten Körper einer vierzehnjährigen Süchtigen riß, die der Dealer mit einer heftigen Dosis Heroin gefügig und bewußtlos gemacht hatte. Der stämmige Kriminalbeamte hatte das Gesicht des völlig überraschten Dealers mit einer Hand gepackt und auf Armeslänge vor sich gehalten, als er zu drücken begann.
    Das Gesicht des Mannes erwies sich als erstaunlich elastisch; es dehnte sich wie eine Gummimaske, bis alle Züge von Dystals Hand bedeckt waren. Der Dealer hatte sich gewehrt und dabei gequiekt wie ein sterbendes Schwein. Als Dystal schließlich sein Opfer losließ, drehte er zuvor noch die Faust herum, so daß die Gesichtshaut des Dealers von der Stirn bis zum Kinn aufriß. Danach fiel der Mann schlapp und bewußtlos in den Dreck der Gasse.
    Der Pflichtverteidiger des Dealers hatte später erreicht, daß die Stadt dem Mann fünftausend Dollar für das Honorar des Gesichtschirurgen bezahlte. Es hatte dem Dealer jedoch wenig geholfen. Die Spuren von Dystals grotesker Selbstjustiz würden den Mann bis ans Ende seiner Tage begleiten.
    »Das ist ja recht interessant«, sagte Dystal mit seinem lauten, schleppenden Südstaatenakzent, als er jetzt den Bericht auf seinen Schreibtisch knallte und Haydon anschaute. Er nahm eine glatte, weiße Packung No-Name-Zigaretten aus der Hemdtasche und zündete sich eine davon mit einem altgedienten Feuerzeug mit Bulldozer-Zeichen an. Dann steckte er das Feuerzeug in die Brusttasche unter dem Stars-and-Stripes-Abzeichen, das er sich stets ansteckte. »Und was wollen Sie unternehmen?«
    »Ich brauche Ihre Unterschrift auf dem Antrag für die beschleunigte Behandlung der drei Autopsien…«
    »Drei?«
    »Sandy Kielmans Körperflüssigkeiten und Gewebe. Sie sollten genauso untersucht werden wie die beiden anderen.«
    »Okay.«
    »Und ich möchte mich in der nächsten Woche ausschließlich dieser Sache widmen. Ich arbeite zur Zeit an nichts, was nicht eine Weile aufgeschoben werden könnte. Das gilt auch für Leo.«
    »Ja, ich glaube, das könnte gehen. Was

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