Kalter Amok
noch?«
»Und ich möchte mir Mooney für diese Zeit vom Sittendezernat ausborgen.«
Dystal runzelte die Stirn und kratzte sich mit dem Daumen am Haaransatz. Er trug sein schmutzigbraunes Haar so, wie er es schon in seiner Schulzeit getragen hatte. Mitte der fünfziger Jahre in der kleinen Stadt Bronte im Westen von Texas: an den Seiten so kurz, daß die Haut durchschimmerte, mit einem sorgfältigen Scheitel und mit Brillantine frisiert.
»Ich werde sehen«, sagte er und schnippte die Asche mit dem Nagel des kleinen Fingers von der Zigarette. Dann seufzte er tief, als er eine der Schreibtischschubladen mit der Spitze seines Stiefels Größe sechsundvierzig herauszog, sich dann zurücklehnte und beide Füße auf die Schublade legte. Danach kniff er nachdenklich die Augen zusammen und fragte: »Was, glauben Sie, ist da im Gange?«
Haydon schüttelte den Kopf. »Van meint, sie könnten an einer Art von Virusinfektion gelitten haben, die enorm ansteckend ist.«
»Aber das kaufen Sie ihm nicht ab.«
»Nein, und ich glaube auch nicht, daß Van der Meinung ist. Wenn diese Mädchen Straßennutten gewesen wären, mit hohen Freierzahlen und nachlässiger Hygiene, vielleicht. Aber diese Mädchen sind den Straßennutten nicht einmal entfernt ähnlich. Sie sind hochklassig, genau wie ihre Klienten.« Haydon ließ eine Pause entstehen, dann fügte er hinzu: »Und das bedeutet, daß wir sofort eine gnadenlose Media-Show erwarten können, sobald auch nur das Geringste durchsickert.«
»Ja, darüber habe ich auch schon nachgedacht. Deprimiert Sie das nicht? Und wer ist der Täter?«
»Es könnte ein Dutzend Männer sein oder mehr, mit einem Dutzend Motiven.«
»Was meinen Sie mit Männern? Ich sehe momentan keinen besseren Verdächtigen als diese Croft.«
»Wenn sie über die Erbschaft Bescheid weiß. Und das würde nur den Tod der Steen erklären. Was ist mit den beiden anderen?«
»Vielleicht wußten sie etwas, was sie nicht wissen sollten.«
»Aber die Kielman ist fast drei Wochen vor der Steen gestorben.«
»Man kann nie wissen«, sagte Dystal.
»Was mich am meisten wurmt, sind die Umstände, unter denen alle drei gestorben sind. Auch wenn es entfernt an eine Virusinfektion erinnert, heißt das noch nicht, daß es irgendwie ungewöhnlich ist.«
»Gift?«
»Van meint, wenn Gift im Spiel wäre, müßte es ein sehr exotisches sein. Die üblichen hätten sie längst bei der vorläufigen Autopsie gefunden, und die Tests haben bisher auch noch keinen Hinweis darauf ergeben.«
Haydon zündete sich eine von seinen Fribourg & Trayer-Zigaretten an, damit er nicht den Gestank von Dystals Glimmstengeln ertragen mußte. »Nehmen wir einmal an, es handelt sich um ein ganz ausgefallenes Gift«, sagte er. »Wie viele Leute sind mit allen dreien bekannt gewesen, die über die technischen Möglichkeiten verfügten, ihnen dieses Gift eingeben zu können?«
Dystal stieß einen knurrenden Laut aus. »Ach, zum Teufel, Stu. Das kann sich ein schlauer Schüler aus den Büchern in der Bibliothek herausklamüsern. Verdammt, wenn sie heutzutage schon Atombomben bauen können nach den Büchern in den Bibliotheken…«
»Vorausgesetzt, sie haben Plutonium. Fragt sich, wie sie da drankommen. Ich weiß, was Curare bewirkt, und was Succinylcholin tut, aber ich kann weder das eine noch das andere in meiner Apotheke kaufen. Und wenn, dann sagen mir die Bücher in den Bibliotheken noch lange nicht, wie man Menschen so damit vergiftet, daß es bei der Autopsie nicht herauskommt. Die meisten würden ein einfacheres Gift verwenden – Zyankali, Nikotin, Strychnin –, und das hätte sich längst bei Vans Tests gezeigt. Denken Sie an die exotischen Giftmorde in der Kriminalgeschichte. Wer waren die Leute, die solche Gifte verwendet haben?«
Dystal überlegte kurz und atmete heftig durch den offenen Mund. »Ja, ich verstehe, was Sie meinen.« Er starrte auf seine Stiefelspitzen und bewegte die Zehen, daß das Leder knarrte.
»Wir wissen nicht, was Vanstraten finden wird, aber wir wissen, daß alle drei Frauen nach einer ähnlichen Krankheit gestorben sind, die mehrere Tage dauerte. Nach dem Wenigen, was wir wissen, scheint sich diese Krankheit durch ganz normale Symptome zu äußern. Wenn ich jemanden auf diese Weise umbringen müßte, würde ich genau das haben wollen.«
»Schon möglich«, sagte Dystal, nickte langsam und schaute noch immer seine Stiefel an.
»Nächste Frage«, fügte Haydon hinzu. »Wie viele Callgirls gibt es momentan, die
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