Kalter Amok
Autoklavs, schloß den Deckel und schaltete ein. Später würde er zurückkommen und die Instrumente noch zusätzlich mit Desinfektionsmittel, Wasser und Seife reinigen…
Er nahm den Gesichtsschutz ab und reinigte ihn, zog die Handschuhe und den zweiten Laborkittel aus und gab beides in einen Spezialwäschesack, den man in der Virologieabteilung benützte. Dann betrachtete er noch einmal die beiden Augen. Sie wurden von der Flüssigkeit und dem Glas vergrößert und schienen das Fläschchen fast zu sprengen. Er schüttelte die Flasche und steckte sie dann in die Tasche seines Labormantels. Anschließend nahm er das Gehirn in der Petrischale und brachte es hinaus ins Labor, schaltete das Licht im Sezierraum aus und schloß die Tür.
Nun ging er daran, festzustellen, ob der Hund tatsächlich Tollwut gehabt hatte. Er zog sich ein frisches Paar chirurgischer Handschuhe an und legte sich eine zweite Serie von Instrumenten auf ein steriles Tuch auf dem Labortisch. Den Inhalt der Petrischale ließ er vor sich auf den Tisch gleiten, dann schaltete er eine Leuchtstoffröhre ein. Er drehte das Gehirn in der Schale so, als stehe er über dem Hund, der von ihm wegschaute. Die Gewebeprobe mußte von dem Teil des Gehirns entnommen werden, der zur Tollwutbestimmung wichtig war. Mit einer Pinzette zog er die beiden Hemisphären des Gehirns auseinander, tauchte das Skalpell in die Spalte und entnahm einen Teil von beiden Hemisphären. Er legte beide Stücke in eine bereits zuvor beschriftete, kleinere Petrischale. Eine für jede Seite des Gehirns.
Dann drehte er das Gehirn um und entnahm in gleicher Weise Gewebsproben aus beiden Hemisphären des cerebellums, der Gehirnbasis hinter der Medulla, von der er zusätzlich eine Gewebsprobe entnahm.
Er legte auch diese Proben in vorbereitete Petrischalen. Es war wichtig, die verschiedenen Proben getrennt zu untersuchen, weil das Tollwut-Antigen häufig ungleich verteilt war und weil man alle Gehirnpartien überprüfen mußte, um das Ausmaß der Infektion erkennen zu können.
Mit sechs sterilen Mikroskopgläsern machte Rafael von jeder Gewebsprobe zwei Abdrücke auf das Glas, drückte es dabei fest gegen das Gewebe, damit eine feuchte Stelle zurückblieb. Die Gläser legte er auf ein Tablett, das in eine Schale mit Azeton paßte, welches auf minus 20 Grad gekühlt war. Die Schale stellte er danach in ein Gefriergerät, das er bereits auf die entsprechende Temperatur eingestellt hatte, und schaute auf die Uhr. Die Proben mußten vier Stunden im Gefriergerät bleiben.
Nachdem er die Instrumente, die von ihm benützt worden waren, in den Sterilisator gesteckt hatte, ging er wieder in den Sezierraum und räumte auf. Dann kam er heraus ins Labor, nahm den kleinen elektrischen Wecker und stellte ihn auf zwei Uhr morgens. Nun schob er die Lehrbücher, die fotokopierten Artikel und die medizinischen Fachzeitschriften nach hinten, bis er genügend Platz hatte, um sich hinlegen zu können. Er überprüfte noch einmal das Schloß an der Tür, schaltete dann das Licht aus. Von draußen kam genügend Helligkeit herein, daß er sich zurechtfand. Er zog den Laborkittel aus, nahm das Fläschchen mit den Augen aus der Tasche und legte es oben auf die Bücher. Nachdem er den Kittel zu einem provisorischen Kissen zusammengerollt hatte, legte er sich auf den Schreibtisch und fiel fast augenblicklich in einen tiefen, gesunden Schlaf.
Als der Wecker läutete, schlug Rafael mit der Hand darauf. Eine Minute lang lag er still da und sah sich in dem Raum um. Das blasse Licht, das durch die Fenster fiel, verlieh allen Gegenständen auf der dem Fenster zugewandten Seite einen bläulichen Schimmer. Es war eine Welt aus schimmernden Hälften.
Er stand auf und schaltete das Licht ein, rollte den Kittel auseinander, zog ihn an, wusch sich das Gesicht in einem Stahlwaschbecken, trocknete es mit Papierhandtüchern ab. Jetzt galt seine ganze Aufmerksamkeit den Gläsern. Er holte die Schüssel aus dem Gefriergerät, nahm das Tablett heraus und stellte es zum Trocknen auf den Tisch. Nun waren die Gewebsabdrücke fixiert. Mit einem Filzschreiber umrandete er jeden Abdruck und formte so eine mikroskopisch kleine Mauer um die Proben, damit der Tropfen Flüssigkeit, den er dazugeben wollte, nicht nach allen Seiten verlief.
Aus dem Kühlschrank nahm er eines der Reagenzgläser mit Konjugalen, die durch Schockgefrieren und durch Dehydration im Vakuum stabilisiert worden waren. Das Konjugat bestand aus Antikörpern gegen
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