Kalter Amok
durch den Smog, die auf ihrer olivfarbenen Haut tanzten, während sie dem Rhythmus der Samba durch die messingfarbenen Strahlen folgte.
Sein o teu amor
Viverei, viverei… viverei…
Er steckte sich die Zigarette zwischen die Lippen und blinzelte sie durch den Rauch an, während er geistesabwesend die Puderflocken abzupfte, die noch an ihm klebten. Blöde Kuh! Der Sambagesang ließ die Fensterwand beben. Sie tanzte. Er schaute ihr zu, kniff die Augen zusammen, atmete den Rauch durch Mund und Nase ein. Die Zigarette war schon so kurz, daß sie fast seine Lippen verbrannte. Er nahm sie heraus, hielt sie zwischen Mittelfinger und Daumen und schnippte sie zu ihr hinüber. Sie hatte die Arme erhoben; die Zigarette traf sie dicht unter dem Brustkorb, ließ kleine Fünkchen über ihren Bauch sprühen und landete auf dem Boden. Sie achtete nicht darauf. Jetzt tanzte sie über den glimmenden Tabak auf dem Marmorboden und umkreiste immer wieder den Raum.
Noch nie hatte sie es so gut gehabt. Ein blödes, abgestumpftes Mädchen aus Rio, keine Erziehung, nur Schönheit. Große Schönheit. Mit achtzehn hatte man sie aus einem berüchtigten Slum von Rio geholt, ausgewählt von einer Art Talentsucher, einer Mischung aus Professor Higgins und Zuhälter. In Houston verkaufte er sie an einen echten Professor Higgins. Bruno de #Gravacäo kaufte sie. Wie die meisten Professoren Higgins war er ein reicher brasilianischer Emigrant. Sein Vermögen machte er mit Bodenspekulationen in São Paulo. Obwohl Ninfa Pereira mehrere Wochen »Vorbereitungszeit« durchgemacht hatte, nachdem sie in Houston angekommen war, um auf diese Weise die Verwandlung vom Slumkind zur Dame der Gesellschaft zu schaffen, war Gravacäo ein gründlicher Mann und begann noch einmal von vorn damit.
Als erstes brachte er Ninfa zu Dr. Gilson Gonzaga, ebenfalls ein Emigrant, und ließ sie genau untersuchen. Alles war in Ordnung – großartig, genau gesagt. Als nächsten wichtigen Schritt brachte er sie zu Jacques Descange, um sie so frisieren zu lassen, daß sie überall in der Stadt beneidet werden würde – hier, in Rio oder in Paris. Dann ging es zu Neiman’s, wo man Garderobe kaufte, die dem natürlichen Stil der jungen Frau entsprach, zu Fred für ein paar passende Schmuckstücke, in ein Dutzend Schuhgeschäfte, in die Boutique »Intime Verführung« für Designer-Unterwäsche, die ihren Körper auf erstaunliche Weise unterstrich. Zuletzt zu einem Optiker – Dr. Gonzaga hatte festgestellt, daß sie kurzsichtig war, ihr einziger körperlicher Mangel – für Kontaktlinsen. Voilà! Eine Lady! Oder zumindest eine erstklassige Kurtisane. Und als Gegenleistung für dieses wundervolle neue Leben brauchte sie sich lediglich selbst zu zerstören, wann immer das verlangt wurde, zu Professor de Gravacäos persönlicher Befriedigung. Es war keine übertriebene Forderung. Jedes Mädchen aus einem Slum hätte das und noch viel mehr getan, um herauszukommen.
Jetzt beobachtete er sie wieder. Offenbar hatte sie eine Lunge voll von dem besten kolumbianischen Gras inhaliert, nachdem er das Bett verlassen hatte. Also war sie für die nächste Zeit davon in Anspruch genommen. Er sah, wie ihre Nase lief, sah den glitzernden Streifen bis hinunter zu ihrem Kinn, während sie nach dem Takt der Samba tanzte im immer dunkler werdenden Goldton der Sonne. Luder! Sogar von der Sonne ließ sie sich vögeln.
Viverei… viverei… viverei…
Er lachte. Sie hörte ihn und lachte ebenfalls. Er dachte an ihren Professor de Gravacäo. Der Alte hatte keine Ahnung, daß er sie mit jemand anders teilte. Einige von ihnen wußten es, davon war er überzeugt, aber die Feiglinge würden es nicht wagen, ihn zu verraten. Er kam und steckte sie in die Tasche, wann immer er wollte, innerhalb gewisser Grenzen. Sie alle hungerten nach ihm; dafür hatte er gleich zu Beginn gesorgt. Sie trafen sich liebend gern mit ihm. Alle liebten Rafael.
Er ließ sie tanzen und ging hinüber ins Bad, duschte, wusch sich den Puder aus dem Haar, reinigte sich vom Grab, von der Leimgrube, von der Lepra, die an ihm fraß, wenn er sie zu nahe kommen ließ. Er seifte sich dreimal nacheinander sorgfältig ab, wusch sich dreimal mit minuziöser Aufmerksamkeit für jede einzelne Pore seines Körpers. Als er aus der Dusche trat, wickelte er sich in warme Handtücher aus dem elektrisch beheizten Handtuchschrank. Er benützte drei große, weiche Handtücher dazu. Für Ninfa waren nur noch zwei übrig. Er nahm sie
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