Kalter Amok
aus dem Handtuchwärmer und steckte sie in die Kommode.
Als er sich angezogen hatte, war die Serie von Sambas mit Alcione vorüber. Er ging durch die Diele und schaute hinein ins Wohnzimmer. Die Fensterwand war ein schimmerndes Purpursegel; der ganze Raum schien zu brennen von der sterbenden Sonne. Ninfa saß mitten auf dem Boden; ihr goldener Körper schwamm im blasser werdenden, geschmolzenen Licht.
Er zuckte mit den Schultern und ging zum Plattenspieler. Nahm die Platte herunter, blies den Staub weg, besprühte die schwarze Scheibe mit einem Reinigungsmittel und wischte sie ab. Dann überprüfte er die Rillen nach Kratzern, stellte mit Befriedigung fest, daß keine zu sehen waren, steckte die Platte in eine Klarsichthülle und dann in den Cover. Jetzt stellte er sie neben die Wohnungstür in die Diele, damit er sie nicht vergaß, wenn er ging, und kehrte ins Schlafzimmer zurück.
Aus der Außentasche seines Valentino-Sportsakkos aus Rohseide nahm er einen kleinen, schwarzen Kalbslederbeutel. Er faltete ihn auf und holte ein Glasfläschchen mit Gummistopfen heraus, das er auf die Marmorplatte des Ankleidetisches im Vorraum des Badezimmers stellte. Dann nahm er eine Spritze aus dem Beutel steckte die Nadel durch den Gummistopfen in das Fläschchen, sog soviel Flüssigkeit heraus, daß die Spritze zur Hälfte gefüllt war, und gab das Fläschchen wieder in den Beutel. Er brauchte einen Augenblick, um den flachen Behälter für ihre Kontaktlinsen zu finden, unter dem Durcheinander von Parfümflaschen und Fläschchen mit verschiedenen Kosmetikartikeln. Er öffnete ihn, nahm die beiden weichen Linsen heraus und goß die Flüssigkeit aus. Dann legte er die Linsen wieder in die zwei Behälter und spritzte den Inhalt der Injektionsspritze über die dünnen Scheiben, bis sie darin schwammen. Die wasserdurchlässigen Linsen würden das Virus-Destillat absorbieren. Nach dem Alkohol und den Drogen würden Ninfas Augen blutunterlaufen sein, aber sie würde die Linsen tragen. Das erwartete man von ihr. Er schraubte die beiden Kammern des Kontaktlinsenbehälters zu und legte ihn wieder dorthin, wo er ihn gefunden hatte. Dann gab er den Rest der Lösung aus der Spritze in die kleine Plastikflasche mit ihren Augentropfen. Danach spülte er die Spritze aus und steckte sie wieder in den Lederbeutel.
Im Schlafzimmer zog er sein Sakko an, steckte den Beutel in die Tasche und ging dann wieder hinüber in den Wohnraum. Ninfa lag auf dem Marmorboden; ihr Körper war jetzt gefleckt vom blutigen Tod der Sonne. Die Nacht mischte sich in das Licht wie schwarze Tinte, und all die glitzernden Lichter der Stadt durchbrachen die Schwärze und erstreckten sich bis zum Horizont wie eine Unendlichkeit ausgebreiteter Brillanten.
Er nahm seine Schallplatte und öffnete die Tür. Dr. Gravacäo würde um neun Uhr fünfundvierzig bei den Hangars für Privatflugzeuge am Flughafen Hobby eintreffen. Um Viertel nach zehn würde er zu Hause sein. Ninfa Pereira sollte sich vor ihm rechtfertigen, so gut sie konnte.
24
Jeden Mittwochabend kochte und servierte Gabriela ein volles Dinner mit Hilfe eines Mädchens, das sie zu diesem Zweck mitbrachte. Manchmal gab es Gäste, aber häufiger dinierten Haydon und Nina allein. Diese Mittwochabend-Dinners waren schon von Haydons Mutter eingerichtet worden, als er noch ein kleiner Junge war; sie sollten der Familie Zeit geben, miteinander zu reden und »in zivilisierter Weise« zu essen, sie sollten dabei die Trivialitäten überwinden, aus denen ihr Leben bestand. Cordelia Haydon war auch groß gewesen in dem, was sie »kultivierte Konversation« nannte. Bei einem solchen Mittwochabend-Dinner war Nina von Haydon seinen Eltern vorgestellt worden. Sie verliebten sich beide vom ersten Augenblick an in sie, und so wurde Nina zum bevorzugten Gast bei diesen Abenden und ein Mitglied der Familie, schon bevor Haydon sie geheiratet hatte. Haydon war davon überzeugt, daß Nina auch zu diesen Dinners erschienen wäre, wenn er jemand anders geheiratet hätte. Sie wurde die Tochter, die seine Eltern nie gehabt hatten, ein besonderer und wichtiger Gast im Hause.
Gabriela, die ebenfalls zur Familientradition zählte und schon länger im Haus war als Haydon lebte, hatte eben Cinco indigniert aus dem Speisezimmer gewiesen, wo Haydon ihn verstecken wollte, indem er ihn still in einer Ecke liegen ließ. Aber sie hatte ihn gesehen – so schlecht waren ihre Augen wieder nicht – und scheuchte den Collie hinaus, wobei sie ihm
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