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Kalter Amok

Titel: Kalter Amok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David L. Lindsay
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gegenüber einem Herzpatienten anwandte, um ihm zu sagen, er müsse seinen Beruf aufgeben, sonst würde er nicht mehr lange leben. Herzpatient. Er erkannte den Symbolgehalt des Vergleichs, den er gewählt hatte.
    Er trank seinen Kaffee aus, nahm die halbleere Flasche Chablis vom Tisch, schob den Stuhl zurück und stand auf.
    »Laß uns hinausgehen«, sagte er.
    Sie gingen durch die Diele und danach gemeinsam auf die Glastüren zu. Haydon hielt eine Tür auf, und sie betraten die Terrasse, wo Cinco sofort zu ihnen herkam, um sich ihrer Liebe zu versichern. Nina kniete sich hin, um den alten Hund zu streicheln, während Haydon Cincos Schüssel mit Chablis füllte und sie dann dem dankbaren Collie hinstellte. Während Cinco den Wein schlabberte, ging Haydon an die Balustrade und stützte die Ellbogen darauf, schaute hinunter auf die Zitrusbäume und blies einen dünnen Strom blauen Rauchs hinaus in die schwere, feuchte Nachtluft.
    Als er Nina an seiner Seite fühlte, wie sie sich bei ihm unterhakte, sagte er: »Du zwingst mich dazu, das Ganze philosophisch zu verbrämen.«
    Er spürte, wie sie mit den Schultern zuckte.
    »Es stimmt«, sagte er. »Ich erkenne sie – die alten Symptome. Das war ein ehrliches, offenes Geständnis. Ich habe es nie vor mir selbst geleugnet. Wir haben nie darüber gesprochen, wie ich es dir einmal zugesagt habe, und ich möchte auch jetzt nicht darüber reden. Es ist ein Geheimnis, das ich lieber nicht ergründe, obwohl ich mir seines Bestehens bewußt bin und auch der Schmerzen und Schäden, die es bei uns beiden hervorruft. Aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber zu reden.«
    »Warum nicht?«
    »Diese Untersuchung ist sehr wichtig. Dieser Mann – und ich bin sicher, daß es ein Mann ist – verhält sich ganz anders als jeder, dem ich zuvor begegnet bin. Ein wirklicher Verrückten Rein zahlenmäßig ist er vielleicht nicht der Typ eines Massenmörders, obwohl sich das noch herausstellen könnte, wenn wir der Sache erst ganz auf den Grund gegangen sind. Aber mich irritiert seine – seine Art, wie er sich den Opfern nähert. Massenmörder haben normalerweise einen Generalnenner. Man findet eine Übereinstimmung der Syndrome, geschichtlich und psychologisch. Das erkennt man zwar meist erst in der Retrospektive und nicht, bevor man ihm Einhalt geboten oder ihn erwischt hat. In diesem Fall dagegen kann man von Anfang an etwas beobachten, was ihn von allen anderen seiner Art unterscheidet.«
    Er drehte die Zigarre in seinem Mund, ließ sie mit den Fingern hin und herrollen, während er den Geschmack des Tabaks genoß. Er schien voller zu sein in der frischen Luft, als ob die tropische Feuchtigkeit das Aroma der dunklen, feuchten Blätter verstärken würde.
    »Der Massenmörder handelt oft aus wildem Haß. Dieser Haß leitet ihn, er zwingt ihn dazu, wiederholt und brutal zu morden. Das Objekt seines Hasses soll leiden, und der Mörder genießt seine Macht, dieses Leiden hervorrufen zu können. Er will das Objekt leiden sehen, will es schreien und wimmern hören, will dieses Leiden buchstäblich mit Händen greifen und spüren, wie das Leben des Objekts ausgelöscht wird. Es ist eine innerliche Gewalt, unglaublich in ihrer Intensität und erschreckend. Er kann der klassische Fall des stillen, netten Kerls sein, dessen Nachbarn überaus erstaunt sind, daß es sich bei ihm um einen bösen Dämon handelt, aber diese Verstellung wird überwunden im großen Augenblick der Gewalt, die von Zeit zu Zeit befriedigt werden muß.
    Der Mann, den wir suchen, hat offenbar keine solchen mörderischen Triebe. Er infiziert das Opfer so, wie es ihm gerade am günstigsten erscheint, und geht danach einfach weg. Sein Kontakt mit dem Opfer entbehrt des Elements von Schmerz und Furcht; er entbehrt vermutlich sogar jeglicher Gewalt. Da nicht genau festzustellen ist, wann das Opfer an der Krankheit zugrunde geht, hat er nicht einmal die Befriedigung, dessen Tod aus der Ferne zu beobachten. Ihm fehlt die weißglühende Hitze der Leidenschaft, die den typischen Massenmörder in jenen letzten Augenblicken verzehrt, wenn er sich körperlich seinem Opfer gegenübersieht und es zerstört.«
    Haydon schwieg, und seine Gedanken schweiften in eine Vielzahl von Richtungen, klammerten sich an Ideen, an die Spuren von Ideen, Erinnerungen und Abwandlungen dieser Ideen, versuchten sie mit den Konzepten zu vergleichen, von denen er gehört, gelesen und geträumt hatte. Sein ruhiges Verhalten, das gelegentliche

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