Kalter Amok
mit ihrer weißen Schürze vor der Nase herumwedelte. Der Hund zog den Schwanz ein, senkte den Kopf und floh durch die Diele auf die Terrasse. Jetzt betrachtete er sie mit freudlosen Augen durch die Fenster des Speisezimmers, während Gabriela hinausdampfte in die Küche und laut genug, daß Haydon es hören konnte, vor sich hinmaulte. In diesem Haus seien noch nie Hunde bei Tisch zugelassen und das dürfe auch in Zukunft nicht geschehen.
»Es ist erst recht schlimm für ihn, wenn er so rausgeschmissen wird«, sagte Nina, die hinausschaute zu dem Collie.
Haydon grinste. »Sie weiß nicht, daß er sonst die meiste Zeit hier drinnen ist. Ich lasse ihn immer rein, wenn sie nicht da ist.«
»Sie weiß es genau«, sagte Nina und lachte. »Sie hat mir gesagt, daß sie pelos de perro in der Bibliothek gefunden hat.«
Sie beendeten ihr Dessert mit Gesprächen über das Haus, über die Arbeit, die Pablo mit den Zitronenbäumen vorhatte, und über die Frage, ob sie das Dach nachsehen lassen sollten oder nicht, nachdem Haydon den feuchten Fleck an der Fassade entdeckt hatte. Später servierte Gabriela frischen Kaffee. Haydon stand auf, nahm eine Zigarre aus dem Humidor auf der Anrichte, schnitt die Spitze ab und zündete die Zigarre an, während er zurückkam zum Eßtisch. Er inhalierte den weichen, dunklen Rauch der Marca do Oro Corona, erlaubte sich nur einen einzigen, tiefen Zug; den Rest der Zigarre würde er nur kosten, nicht inhalieren. Zum erstenmal seit Vanstraten mit seiner erschreckenden Diagnose hergekommen war, begann er sich zu entspannen.
»Gehst du heute mal früh zu Bett?« fragte Nina. Sie hatte den Kopf auf die Hände gestützt und lächelte ihn an.
»Nein, spät«, sagte er.
»Was? In der vergangenen Nacht hast du keine zwei Stunden geschlafen.«
»Ich werde das irgendwann nachholen. Jetzt muß ich noch mal in das Haus fahren, wo diese Partner gewohnt hat.«
»Das kann bestimmt bis morgen vormittag warten.«
»Morgen gibt es andere Dinge zu tun.«
Nina schaute ihn an. Er erkannte ihre Miene und wußte, was sie dachte. Es war eine seltsame Symbiose, die sie miteinander verband. Er haßte die Angst in ihren Augen ebenso wie die Nervosität in sich selbst, die sich allmählich steigerte und die sie schon vor ihm erkannt hatte. Sie fürchteten sie beide, ohne jemals darüber zu reden. Er tat so, als wäre alles wie immer, und sie beobachtete ihn genauer und registrierte jeden Stimmungswechsel wie ein telepathisches Barometer. Gemeinsam beobachteten sie, wie die »dunkle Saison« herankam, bis Haydon plötzlich in sein schwarzes Vakuum verschwand, wo er Zeit und Raum verlor und zugleich und unausweichlich ein Stück von sich selbst. Und beide dachten mit zunehmender Sorge daran, was diese Verluste eines Tages bedeuten würden.
Wie ein schuldbewußter Alkoholiker, der sich weigert, an seinen letzten Exzeß zu denken, unterdrückte Haydon eine geheime Abneigung gegen Nina wegen ihrer gefestigten Haltung angesichts seiner eigenen, wiederkehrenden Schwäche. Den Erfolg beim Unterdrücken dieses Gefühls verdankte er seinem Talent zur gnadenlosen Selbstanalyse, bei der er kritisch sein konnte bis zur Aufgabe seiner Person, und einem Gefühl des tiefen Respekts und der Dankbarkeit für ihre absolute Treue.
»Wann werden wir je darüber reden?« fragte sie. Ihre Stimme war weich, und ihr Gesicht zeigte ein trauriges Lächeln.
»Nicht heute abend.«
»Warum nicht?«
Die Zigarre schmeckte gut. Er wollte nicht, daß Nina fortfuhr, hoffte, sie würde aufhören.
»Stuart?«
»Ich wüßte nicht, was ich dazu sagen sollte«, antwortete er wahrheitsgemäß.
»Ich habe es auch gar nicht erwartet. Aber wir könnten trotzdem reden. Du Brauchst es gar nicht zu wissen. Es tut dir sicher nicht weh, wenn du es einmal ergründest.«
»Diese Sache?«
Sie zögerte. »Ja. So empfinde ich es jedenfalls.«
Er schaute sie an. Seine Augen sahen sie, aber seine Gedanken kehrten zu sich selbst zurück.
»Das kann ich verstehen«, sagte er. »Ich glaube, ich fühle das auch.«
»Dann laß uns darüber reden, Stuart. Ich mache mir Gedanken wegen dieser Untersuchung, wegen dem, was sie dir antut. Du brauchst Entspannung, Ferien – nicht verstärkten Einsatz für diesen Fall.«
»Aber ich kann nichts dagegen tun. Es ist nun einmal geschehen.«
»Du solltest wegfahren.«
Sie sagte es ganz rasch, als wäre es eine harte Wahrheit, die ihn verletzen würde, aber ausgesprochen werden mußte. Es war genau der Ton, den man
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