Kalter Amok
mit dem vorderen Ende seiner Taschenlampe. Nachdem er wieder im Wohnzimmer war, ging er zur Wurlitzer und drückte noch ein paar Tasten. Als er die Treppe zur Galerie hinaufstieg, war das Haus erfüllt vom heiteren, raffinierten Arrangement eines Songs mit dem Titel »India«, gesungen von einer Frau mit klarer Stimme namens Gal Costa.
Er ging an den Kübelpalmen vorbei zum roten Zimmer. Als er auf der obersten der drei Treppen war, die in das Zimmer führten, fiel ihm die Dicke der Wand zwischen Galerie und Zimmer auf, die für den ganzen Korridor galt. Die Wand war, schätzte er, ungefähr einen Meter dick, entsprach also den eingebauten Kleiderschränken. Das Zimmer war noch immer ein einziges Durcheinander; niemand hatte hier aufräumen dürfen.
Haydon ging zur gegenüberliegenden Wand in der Nähe des Badezimmers und drehte sich um, blickte hinauf zu der Stelle oberhalb der Schranktür. Zwei Ventilatoren der Klimaanlage mündeten hier in den Raum. Zwei weitere Lüftungsschächte mündeten an der Wand zu seiner Linken. Er ging um das Bett herum zum Schrank und öffnete die beiden Falttüren. Nachdem er auf einer Seite die Kleider beiseitegeschoben hatte, untersuchte er die Ränder der Wand an der Seite, dann die Rückwand, und schob die Kleider auf die Gegenseite, bis er das andere Ende erreicht hatte, wo ein Schuhregal eingebaut war. Er schaltete die Taschenlampe ein und leuchtete damit an die Decke. Es dauerte ein paar Sekunden, ehe er die haarfeinen Spalten entdeckte, die über dem Regal ein Viereck bildeten. Er berührte die Regalbretter. Sie waren massiv und fest eingebaut. Als er genauer hinschaute, sah er, daß die Mitte eines jeden Bretts leicht abgewetzt war. Nun räumte er die Schuhe aus.
Er benützte die Bretter als Treppe, erreichte die Luke, die in die Decke eingepaßt und leicht hochzudrücken war. Er schob sie hoch und steckte dann den Kopf samt der Taschenlampe in die Öffnung. Es war ein länglicher, leerer Raum, etwa neunzig Zentimeter breit und einszwanzig hoch; Platz genug, daß man hineinkriechen konnte. Haydon betrachtete die zwei Ventilatoren, die er von unten gesehen hatte. Sie konnten leicht entfernt werden, und die Öffnungen waren groß genug, daß man durch sie hindurch fotografieren konnte. Er kroch zu den beiden anderen Lüftungsschächten, die in gleicher Weise benützt werden konnten. Ansonsten war der Raum leer.
Haydon kehrte zur Luke zurück, und nachdem er heruntergeklettert war, klappte er sie wieder zu. Er hatte das Schlafzimmer verlassen und war auf halbem Weg durch die Galerie, als eine weitere Samba auf der Wurlitzer begann und das Telefon klingelte. Er nahm nach dem vierten Klingelzeichen ab. Es war Hirsch.
»Stuart, du solltest hierherkommen, ins Ben Taub. Wir haben eine Frau mit Tollwut.«
»Wo?«
»Intensivstation.«
»Kann sie sprechen?«
»Sie ist mal weg, dann wieder bei Sinnen.«
Haydon knallte den Hörer auf die Gabel und lief zur Tür, schaltete die Lichter aus und trat hinaus. Der stampfende Rhythmus der Samba drang durch die Tür, als er den Schlüssel ins Schloß steckte und ihn umdrehte.
Hirsch und Mooney standen innerhalb des Glaskastens der Schwesternstation und schauten über einen hochpolierten Boden hinweg in einen anderen, verglasten Raum, wo mehrere Ärzte und Schwestern sich um einen Patienten bemühten, den Haydon nicht sehen konnte. Er klopfte gegen das Glas, und eine Schwester ließ ihn ein, während sich Hirsch und Mooney umdrehten.
»Wie ist die Lage?« fragte Haydon.
»Ein Notarztwagen hat sie heute kurz nach Mittag hergebracht, nachdem sie selbst neun-elf angerufen hatte. Sie heißt Pauline Thomas, eine Prostituierte aus der Montrose-Gegend. Die Ärzte wußten nichts mit ihr anzufangen und begannen zu experimentieren, als die Nachricht von uns hier eintraf. Sie ist in ziemlich schlechtem Zustand. Ed hat versucht, mit ihr zu sprechen, während ich mit dir telefonierte, und als ich fertig war, hat man ihn hierher zurückgescheucht, weil da drüben ein paar Summer in Aktion getreten sind.«
»Scheiße, du solltest sie sehen, Stuart«, sagte Mooney. »Unheimlich. Sie haben sie auf das Bett geschnallt. Sie beginnt zu geifern, und sie müssen ihr den Speichel absaugen, damit sie nicht erstickt. Sie beißt in den Aspirator, kaut daran herum, Verdammt.«
»Und ihr habt nichts rausgekriegt?«
»Nein. Gar nicht dran zu denken.«
»Was sagt der Arzt?«
»Wir sollen warten, ob sie noch mal ein paar lichte Momente hat. Sobald das der
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