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Kalter Fels

Kalter Fels

Titel: Kalter Fels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Koenig
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schon dem Superintendenten über die beiden Tötungsdelikte berichtet hatte.
    »Wir sind Ihrem Mann zu großem Dank verpflichtet.«
    »Ich werde es ihm sagen«, gab sie zur Antwort. Aber sie sagte ihm nichts.
    * * *
     
    Marielle fuhr nicht mit in den Rofan. Sie ließ Pablo und Schwarzenbacher allein fahren. Schwarzenbacher sagte, er wolle dann auch noch den Beamten besuchen, der ihm die Informationen zum »Kaisermord« gegeben hatte. Pablo brachte wenig Verständnis dafür auf, dass sie keine Lust hatte mitzukommen.
    »Was ist los mit dir?«, sagte er. »Du bist die ganze Zeit schon so reserviert. So unnahbar.«
    »Quatsch«, sagte sie. Aber sie sagte es nur so. Insgeheim wusste sie, dass er recht hatte. Sie ärgerte sich über sich selbst: Seit den traumatischen Vorfällen an der Schattenwand litt sie unter Stimmungsschwankungen. Sie redete sich immer ein, dass die Zeit auch das verbessern würde. Aber sie ahnte bisweilen auch, dass sie sich selbst belog.
    Und noch etwas gärte in ihr: Sie fühlte sich bei den Ermittlungen an den Rand gedrängt. Schwarzenbacher bezog Pablo weit mehr in seine Aktivitäten ein als sie. Unnötig kam sie sich vor, überflüssig. Sie war wütend, weil sie das Gefühl hatte, sie kämen gut ohne sie zurecht. Richtig wütend. Sie gestand es sich nur nicht ein.
    Sie konnte sehr gut allein etwas unternehmen!
    Dazu brauchte sie kein Auto. Brauchte nur am Innsbrucker Hauptbahnhof in den Zug Richtung Mittenwald steigen. Das Karwendelgebirge war nicht weit.
     
    Sie sah aus dem Fenster, sah hinunter zu den zusammenwachsenden Ortschaften im Inntal, während die Bahn sich über Viadukte bergauf mühte. Nach fünfzig Minuten kam sie in Scharnitz an. Sie trug Laufschuhe, auch eine Fleecejacke und einen kleinen Rucksack. Darin war ein wenig Proviant, eine Plastikflasche Orangensaft, ein Fernglas. Und ein Pfefferspray.
    »Wenn du immer allein durch die Gegend rennst«, hatte Schwarzenbacher gesagt, »dann solltest du so was dabeihaben. Bist ein hübsches Ding. Gibt viele, die dich haben wollen, aber normalerweise nicht kriegen können … Du verstehst, was ich meine?«
    Natürlich verstand sie. Dachte, ich habe sogar diesen Krupp überlebt, an der Schattenwand. Was sollte mir noch geschehen können? Aber sie wusste, dass es Unsinn war. Normalerweise hätte sie gegen einen ausgewachsenen Mann keine Chance. Nicht ohne Waffe.
    In Scharnitz aus der Bahn zu steigen, kam einem Kulturschock gleich. Provinz war das eine, Grenzort zu sein war etwas anderes. Zwar war der Grenzübergang nach Deutschland längst aufgelöst, dennoch haftete dem Ort, zumindest entlang der Durchgangsstraße, immer noch etwas Überwachtes, polizeilich Sondiertes an. In den Jahrzehnten als Grenzort, zudem eingekeilt zwischen steilen Bergflanken, schien das Dorf keine Gelegenheit bekommen zu haben, eine eigene Note zu entwickeln.
    Aber vom Unterwegssein im Gebirge wusste sie auch, dass diese oberflächlichen Eindrücke oft täuschten. Dass man länger an einem Ort sein musste, um hinter die Kulissen zu schauen und das eigene Flair herauszuspüren. So verhielt es sich mit Scharnitz sicherlich auch.
    Aber nun, am Vorplatz des Bahnhofs stehend, der völlig verlassen dalag, fühlte sie sich in einen Kokon aus Tristesse eingehüllt.
    Liegt wohl vor allem auch daran, dachte sie, dass hier erst vor Kurzem ein Mord geschehen ist. Und daran, dass der Himmel heute so traurig grau ist.
    Die Berge waren frei, nicht von Wolken verhüllt. Aber der Himmel darüber zeigte ein durchgängiges Grau, von dem man nicht sagen konnte, ob es in einer Stunde regnen würde oder erst am Abend oder vielleicht auch gar nicht. Dazu war es schwülwarm, irgendwie unangenehm.
    Sie war nicht gekommen, um einen Berglauf zu machen. Obwohl hier die Voraussetzungen geradezu ideal waren: Nur ein kleines Stück außerhalb von Scharnitz trafen drei große Gebirgstäler zusammen, das Karwendeltal, das Hinterautal, das Gleirschtal. Bei allen dreien führten Forstwege direkt neben Bachläufen viele Kilometer weit hinein ins Herz des Karwendels. Aber das war an diesem Tag nicht Marielles Ziel.
    Was ist eigentlich mein Ziel?, fragte sie sich. Die Brunnsteinhütte? Oder einer der Gipfel?
    Sie schlenderte durch den Ort. Besah sich die Häuser, die Geschäfte. Bei der Raiffeisenbank holte sie mit ihrer Karte einen Fünfziger aus dem Geldautomaten.
    Sie hatte bei den Treffen mit Reuss, Schwarzenbacher und Kommissar Hosp viel erfahren, was sie sich zu Hause dann notiert hatte. Sie

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