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Kalter Fels

Kalter Fels

Titel: Kalter Fels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Koenig
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zurück. Er nicht, dachte sie.
    Die Polizei war ja schon mit dem Hubschrauber bei dieser Almhütte gewesen. Und sie hatte keine frischen Spuren entdeckt. Wo ist er hin?
    Alle sagen, dass Senkhofer nicht viel im Kopf hat, dachte sie. Sein Zuhause scheint die Hütte gewesen zu sein. Sogar im Winter. Das muss man sich mal vorstellen. Monatelang völlig abgeschieden von der Welt. Ganz allein. Das muss doch grauenvoll sein.
    Der ist ins Gebirge geflüchtet, dachte sie. Nirgendwohin sonst! Ins Gebirge! Nie und nimmer in die Stadt. Nicht nach Innsbruck. Das alles ist diesem Mann doch völlig fremd.
    Komisch nur, dass ihn niemand gesehen hat. War doch alles in den Zeitungen gestanden. Der ORF hatte darüber berichtet. Wenn Senkhofer irgendwo ein längeres Stück auf einem Wanderweg gegangen wäre, dann hätte er doch irgendwem auffallen müssen. Er sah bestimmt nicht aus wie ein ganz normaler Bergwanderer. Und gewiss war er auch nicht so gekleidet und ausgerüstet.
    Was weiß ich über ihn?, fragte sich Marielle.
    Wir wissen, dass er zwei Morde begangen hat. Wissen genau um seine Identität. Aber sonst?
    Wie schwer sind die Verletzungen, die er sich im Haus der Grasberger zugezogen hat? Es wurde schließlich Blut gefunden, das nicht von ihr stammte, sondern wahrscheinlich von ihm.
    Und wie ist er bekleidet?
    Lauter Fragezeichen.
    Scheiße, dachte sie. Verdammte Scheiße.
    Sie packte das Fernglas aus. Ein altmodisches, großes, schweres. Die Hinterlassenschaft von einem Onkel, der gern zur Jagd gegangen war. Sie mochte es trotzdem, auch wenn es heutzutage von Zeiss oder Swarovski Feldstecher gab, die nur halb so groß und nur halb so schwer waren, dafür aber doppelt so leistungsstark. Sie nahm die Verschlusskappen von den Linsen und stellte das Glas auf ihre Augen ein. Langsam schwenkte sie den Blick von rechts nach links, von der Gießenbacher Region hinüber zum gebirgigen Gelände zwischen Scharnitz und Mittenwald.
    Sie besah sich die waldigen Abschnitte und die Felszonen wie eine Zeitlupeneinstellung im Fernsehen. Sie sah von Stürmen umgerissene Bäume, sah Geröllhalden, die wie lange Zungen in die Wälder hineinreichten, sah, bei langsamen Schwenks nach oben, die Grate, wo Berge und Himmel sich berührten. Einmal sah sie sogar eine Bewegung, und ihr Puls ging schlagartig schneller.
    Aber es war nichts … falsch … es war nur ein Reh oder eine Gämse, was sich da im Bereich der Baumgrenze bewegte.
    Was hast du denn erwartet, dumme Gans, dachte sie.
    Und doch machte sich die Suche mit dem Fernglas bezahlt. Was ihr nämlich auffiel, war ein bewaldeter Bergrücken, der sich direkt vom Scharnitzer Ortsrand in Richtung Brunnsteinspitze hinaufzog.
    Sie holte eine Karte aus dem Rucksack. »Alpenwelt Karwendel«. Eine allgemeingültige Wanderkarte; leider nur im Maßstab 1 : 100.000. Kein Weg war entlang dem Bergrücken eingezeichnet. Und doch kam ihr das Gelände vor, als könnte man dort in ausgesprochen eleganter Linienführung hinaufsteigen zur Brunnsteinspitze. Auch ohne Weg.
    Je länger sie an den Sonnenplatten saß, desto mehr fühlte sie sich angezogen von dieser Möglichkeit.
    Wenn ich ganz rasch aus Scharnitz verschwinden müsste und wenn mir dabei nur ja keine Leute mehr begegnen sollten – ich könnte mir gut vorstellen, da raufzugehen. Muss ja nicht bis zum Gipfel sein. Schon nach einem Viertel der Höhe kann man ins Gebirge hineinqueren oder Richtung Mittenwald. Aber vielleicht gibt es auch gute Verstecke dort oben.
    Vielleicht, dachte sie, hockt der Kerl nur einen Katzensprung vom Ort entfernt in seinem Versteck.

14
     
    Kurz bevor Pablo und Schwarzenbacher in Kufstein ankamen, piepste Schwarzenbachers Handy.
    Eine Weile hörte er schweigend zu. Dann sagte er zu Pablo:
    »Halt mal an.«
    »Geht nicht«, maulte der. »Wir sind hier auf der Autobahn. Kann ja nicht einfach so auf dem Standstreifen stehen bleiben, nur weil du in Ruhe telefonieren willst. Was ist eigentlich los?«
    Schwarzenbacher warf ihm einen finsteren Blick zu. »Reuss ist dran.«
    »Warum schaust du dann so böse?«, sagte Pablo.
    Schwarzenbacher gab keine Antwort. Er telefonierte zu Ende und sagte dann erst: »Wir können umkehren. Reuss sagt, Kaiser und Rofan sind geklärt. Der oder die Täter scheinen gefasst zu sein.« Er zog ein Papiertaschentuch aus der Jacke und schnäuzte sich umständlich.
    »Das ist doch super, oder?«, sagte Pablo.
    »Fahr einfach bei der nächsten Ausfahrt raus. Oder wenn eine Raststätte kommt. Damit wir

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