Kalter Grund - Almstädt, E: Kalter Grund
Lackregenmantel. Ihr Haar war blauschwarz und zu einer Hochfrisur auftoupiert, unter der sie locker ein altes Brötchen verstecken konnte. Pia bat Irmtraut Krüger in den Besprechungsraum.
Nachdem sie sich beide ihrer Jacken und Mäntel entledigt hatten und sich am großen Tisch gegenübersaßen, produziertePia einen aufmunternden Laut, der Frau Krüger zum Reden veranlasste.
»Ich musste einfach zu Ihnen kommen. Ich habe die ganze letzte Nacht kein Auge zugemacht, weil ich nicht wusste, ob ich mit der Polizei reden muss oder nicht. Dann habe ich mir gesagt: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es! Und mit diesem Entschluss habe ich dann endlich etwas Schlaf gefunden. Da war es aber auch schon halb vier und um fünf musste ich aufstehen, wissen Sie.«
Pia schlug ergeben ihr Notizbuch auf.
»Ich putze bei verschiedenen Leuten hier in Grevendorf. Dadurch höre ich viel und bekomme viel mit bei den Leuten, für die ich arbeite. Dienstags bin ich zum Beispiel immer bei den Kontos’, seit ein paar Jahren schon. Ich habe noch miterlebt, wie Agnes’ Vater dort gewohnt hat. Ein chaotischer Haushalt, sage ich Ihnen, aber wenn alle Leute sauber und ordentlich wären, dann gäbe es bald keine Arbeit mehr für mich.«
»Und weshalb genau kommen Sie zu mir? Haben Sie etwas gehört oder gesehen, das mit dem Mordfall Bennecke in Zusammenhang stehen könnte?«
»Nicht direkt, ich habe mir nur so meine Gedanken gemacht über Agnes, das arme Ding. Es stimmt doch, dass sie entführt wurde?«
»Bisher wissen wir nur, dass sie verschwunden ist«, bemerkte Pia zurückhaltend. Der Dorfklatsch schien ja erstaunlich schnell die Runde zu machen.
»Jedenfalls war die Agnes eine Zeit lang mit dem Bennecke-Sohn befreundet. Ihre Mutter wusste ja angeblich nichts davon, aber ich habe immer das Zimmer der Kleinen sauber gemacht und dabei sind mir ein paar Dinge aufgefallen. Unter anderem die Fotos von ihr und Malte Bennecke, die sie an ihrem Bett unter ein paar Büchern versteckt hatte. Außerdemgab es noch ein paar kleine Briefchen: Frau Kontos muss blind gewesen sein, wenn sie nichts davon bemerkt hat.«
»Sie haben also im Rahmen ihrer Tätigkeit bei den Kontos’ Hinweise dafür entdeckt, dass Agnes mit Malte Bennecke befreundet war ...«
»Genau. Der Knackpunkt ist jedoch, dass Agnes’ Vater getobt hätte, wenn er davon gewusst hätte. Er war zu diesem Zeitpunkt zwar schon im Ausland, aber seine Tochter ist sein Ein und Alles. Solche Geschichten hätte er nicht geduldet.«
»Woher wissen Sie das?«
Es folgte eine längerer, etwas atemloser Vortrag über die Moralvorstellungen einiger Ausländer im Allgemeinen und Dimitri Kontos’ im Besonderen. Gewisse Dinge, die sie bei den Kontos’ aufgeschnappt haben musste, hatten sich scheinbar zusammen mit ihrer Fantasie zu einer regelrechten Bedrohung für Agnes Kontos’ Liebesleben vermischt.
»Dimitri Kontos wäre Ihrer Meinung nach gegen die Freundschaft vorgegangen, wenn er davon gewusst hätte?«, fasste Pia zusammen.
»Na, und ob! Hausarrest hätte Agnes bekommen, oder Schlimmeres. Und dem Malte hätte er ...« Sie stockte plötzlich und biss unbehaglich auf ihrer Unterlippe herum.
»Sie meinen, es wäre vorstellbar, dass er ihn erschossen hätte, und seine Eltern gleich mit?«
»Ich meine gar nichts«, sagte Frau Krüger beleidigt. »Ich will nur sagen, dass dem Vater das Techtelmechtel nicht gefallen hätte ...«
»Hätte er davon gewusst ... Besteht denn die Chance, dass er es wusste? Wie lange war er schon weg, bevor die Beziehung zwischen Malte und Agnes begann?«
»Oh, vielleicht ein halbes Jahr. Aber er hatte regelmäßig Kontakt zu seiner Tochter. Vielleicht hat sie ...?«
»Unwahrscheinlich, dass sie es verraten hat, wenn sie die Einstellung ihres Vaters dazu kannte«, sagte Pia ganz in Gedanken.
»Aber irgendjemand könnte sie verraten haben ...«, insistierte Irmtraut Krüger. Kam da jetzt durch die Hintertür wieder Verena Lange ins Spiel?
»Sie sind also zu mir gekommen, um uns auf Dimitri Kontos hinzuweisen. Auch wenn er sich allen Angaben zufolge in Griechenland aufhält?«
»Genau! Hanno Suhr sagt auch, dass Dimitri Kontos ein seltsamer Zeitgenosse ist. Er machte jedenfalls so eine Bemerkung ...«
»Moment«, Pia wurde hellhörig, »bei den Suhrs arbeiten Sie auch?«
»Nein, wo denken Sie hin. Die würden sich nie jemanden zum Putzen kommen lassen. Dafür ist die Frau des Hauses zuständig, in diesem Fall Petra Suhr. Sie ist eine geborene Merschmann.
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