Kalter Grund - Almstädt, E: Kalter Grund
teures Rennrad leisten konnten.
»Wer hat das Fahrrad gefunden?«, fragte Pia den sie begleitenden Beamten.
»Wir sind von einem Spaziergänger informiert worden«, gab dieser an. »Er steht dort drüben bei meinem Kollegen. Der Herr mit dem Boxer an der Leine.«
Ein paar Meter entfernt stand ein etwa 70-jähriger, großer Mann in hellem Trenchcoat und mit einem karierten Hut auf dem Kopf.
»Haben Sie sonst noch etwas Auffälliges entdeckt? Hier um das Fahrrad herum ist ja leider alles zertrampelt.«
»Als wir hier ankamen, standen schon drei Leute um das Rad herum: Der Herr mit dem Hund und ein Paar mit Fahrrad, da war nicht mehr viel zu retten. Ich habe mal hinter den Knick geschaut, aber dort ist nichts zu sehen. Nur netter, unberührter Schnee ...«
»Wir werden trotzdem die Spurensicherung herschicken. Vielleicht finden die ja noch was«, sagte Pia mutlos. Sie versuchte sich die Szene vorzustellen, die dem Verlassen des Fahrrades vorausgegangen war. Wie kam das Rad hierher? Die Strecke lag nicht auf Agnes’ Weg. Zumindest dann nicht, wenn sie von Karla aus hatte nach Hause fahren wollen. Aber auch sonst war schwer vorstellbar, warum ein junges Mädchen im Dunkeln hier entlangfahren sollte. Die Häuser in der Nähewaren alle viel besser von der Straße aus zu erreichen. Hatte sie sich hier mit jemandem treffen wollen, der sie dann freiwillig oder gegen ihren Willen von hier weggebracht hatte? Oder war Agnes niemals hier gewesen und nur ihr Rad war von wem auch immer abgeladen worden? Aber auch das war nicht logisch, denn um ein Fahrrad verschwinden zu lassen, gab es in der Nähe bestimmt sicherere Orte. Hier hatte es ziemlich schnell von Spaziergängern oder Fahrradfahrern entdeckt werden müssen. Nein, es sah nicht so aus, als hätte es jemand verbergen wollen, höchstens schnell loswerden.
Pia seufzte und wandte sich dem Herrn zu, der das Rad gefunden hatte.
»Meine Saskia hier«, der Mann deutet kurz auf seinen Hund, »hat das Fahrrad entdeckt. Wir gehen jeden Tag zwei Mal hier entlang und hinter dem Kindergarten lasse ich sie immer frei laufen. Sie hat ziemlich laut gekläfft, als sie das Ding entdeckte. Ich dachte zuerst, es wäre ein totes Karnickel oder so etwas, also bin ich sofort zu ihr gegangen. Ich wollte nicht, dass sie sich in dem Aas wälzt. Da sah ich das Rad. Ich wusste, dass es dort gestern Abend um neun Uhr noch nicht gelegen hat, deshalb habe ich die Polizei verständigt.«
»Woher wissen Sie, dass es gestern Abend noch nicht hier lag? Es muss doch stockdunkel gewesen sein«, fragte Pia.
»Zum einen wegen des Hundes. Saskia ist sehr aufmerksam. Zum anderen, weil ich abends immer eine große Taschenlampe mitnehme«, lautete die bereitwillige Auskunft. Leider hatte das abendliche Gassi-Gehen stattgefunden, als Agnes noch bei ihrer Freundin Karla gewesen war. Trotzdem wollte Pia wissen, ob dem Mann oder seinem Hund noch etwas aufgefallen war. Er schüttelte bedauernd den Kopf.
»Ich habe auch schon darüber nachgedacht, aber es war nichts anders als sonst auch«, antwortete er. Dabei sah er dieganze Zeit so aus, als ob er darüber nachdachte, warum eine Kommissarin von der Mordkommission Lübeck sofort zu einem herrenlosen Fahrrad gerufen wurde.
»Wissen Sie schon, wem das Fahrrad gehörte, äh ... gehört?«, fragte er leise.
»Darüber kann ich leider keine Auskunft geben.«
»Verstehe, verstehe.« Er machte sofort einen Rückzieher und tätschelte verlegen seinen Hund.
Pia gab telefonisch die nötigen Anweisungen, wie weiter zu verfahren sei, dann machte sie sich auf den Rückweg ins Hotel. Es war inzwischen halb zwölf und ihr Magen verlangte protestierend nach einer ersten Mahlzeit. Sie nahm sich vor, bei Ankunft im Hotel so schnell wie möglich im Besprechungsraum zu verschwinden und im Vorbeigehen in der Küche ein Frühstück, oder was immer verfügbar war, zu ordern.
Das Vorhaben ließ sich jedoch nicht in die Tat umsetzen.
Schon im Foyer wurde sie von der Rezeptionistin abgefangen. Sie teilte ihr mit, dass sie seit längerem erwartet wurde: Von einer Dame, die eine Zeugenaussage zu machen wünsche. Sie deutete verstohlen mit dem Kopf in Richtung der Frau, die mit missmutiger Miene ein paar vertrocknete Blättchen aus den Grünpflanzen des Hotelfoyers zupfte. Pia unterdrückte ihren Hunger und versuchte, mit professioneller Offenheit auf die wartende Frau zuzugehen.
Diese stellte sich als Irmtraut Krüger vor. Sie war eine imponierende Gestalt in einem perlmuttfarbenen
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