Kalter Grund - Almstädt, E: Kalter Grund
Ordnungsschema gepresst und – nutzlos. Fast ein Symbol für ihr eigenes Leben.
Sie konnte sich nicht dazu aufraffen, mit den immer gleichen Handgriffen den Tisch abzuräumen. Sie musste nur Teller, Tassen und Besteck in den Geschirrspüler stellen, Aufschnitt, Butter und Käse in die dafür vorgesehenen Behältnisse und dann in den Kühlschrank. Ein letztes Mal mit dem feuchten Lappen über den Resopaltisch gewischt und die Küchenarbeit wäre für heute erledigt.
Petra schob die Brotkrümel auf ihrem Brett mit dem Messer zu einer schmalen Linie zusammen und dann wieder auseinander. Sie lauschte auf die Geräusche im Haus: Hanno duschte gerade und neben dem Rauschen des Wassers war auch das Brummen der Pumpe zu hören, die das Wasser aus dem eigenen Brunnen aus etwa 40 Metern Tiefe nach oben beförderte. So tief mussten sie jetzt schon bohren, um noch sauberes Trinkwasser zu bekommen. Ihre Eltern hatten noch einen Brunnen mit Oberflächenwasser gehabt.
Alles ging bergab. Nach nunmehr drei Jahren Ehe mit Hanno, unter den Augen ihres unversöhnlichen Schwiegervaters, fühlte Petra sich einsam und wertlos. Ihr Leben kam ihr vor wie eine einzige Plackerei ohne Sinn. Der Hof war hoch verschuldet, die Ferkelpreise im Keller. Trotz all ihrer Mühen und dem Idealismus, alles anders und besser zu machen, war kein rettendes Land in Sicht. Jetzt konnte sie eigentlich nur noch ein Lottogewinn vor dem Ruin retten.
»Wir hätten dieses Haus noch nicht bauen sollen«, lautete jeder zweite Satz bei Hanno, wenn das Thema Geld zur Sprache kam. Ein angedeuteter Vorwurf, weil sie auf ein separates Haus bestanden hatte, um nicht bei ihrem Schwiegervater mit am Tisch sitzen zu müssen. Das Beste war, wenn dann noch kam: »Wir brauchen es ja auch noch nicht. Wer weiß, ob wir es je brauchen werden ...« Gemeint war damit das unausgebaute Dachgeschoss, Platzreserve für zwei bis vier Kinderzimmer. Es musste wohl eine Zeit gegeben haben, als sie noch optimistisch gewesen waren, sowohl was ihre wirtschaftliche als auch was ihre biologische Zukunft anbetraf.
Petra hatte im ersten Ehejahr weiter die Pille genommen, damit in der Bauphase ihres Hauses »nichts dazwischenkam«. Leider kam auch später »nichts dazwischen«. Petra wurde und wurde nicht schwanger. Ihr Schwiegervater hatte Monat umMonat ihren Zustand belauert, dann unpassende Bemerkungen gemacht über Frauen, die lieber »Karriere« im Schweinestall machen, anstatt Kinder in die Welt zu setzen.
Petra, die sich bisher immer für robust und gesund gehalten hatte, bekam Zweifel, ob bei ihr alles in Ordnung wäre. Sie hatte ihren Hausarzt um Hilfe gebeten. Noch heute trieb ihr die Erinnerung an das Gespräch die Schamröte ins Gesicht. Dr. Keller hatte mit routiniertem, jovialem Verständnis reagiert, sie darauf aufmerksam gemacht, dass sie die fruchtbarste Dekade ihres Lebens bereits hinter sich gelassen hatte, und zu Geduld und Ablenkung geraten. Dass Hanno drei Jahre jünger war als sie, war bei dieser Feststellung auch keine Hilfe gewesen. Sie begann, in ihren Körper hineinzuhorchen, jedes Ziehen im Unterleib zu registrieren und ihre Regelblutung zu hassen. Ihr Körper reagierte auf diese lieblose Behandlung mit bisher unbekannten Schmerzen. Zu hoffen, dass das Anzeichen einer frühen Schwangerschaft sein könnten, hatte Petra längst aufgegeben. Sex war zur Pflichtübung geworden. Durch jede schwangere Frau im Bekanntenkreis fühlte sie sich gedemütigt. Sie hatte sich schon ausgerechnet, wie viele Eisprünge sie bis zu ihrem 40. Geburtstag noch zu erwarten hatte. Dieses Alter hatte sie sich selbst als Limit für die Erfüllung ihres Kinderwunsches gesetzt. Aber bis dahin hatte einer von ihnen, sie oder Hanno, eh längst das Handtuch geworfen.
Ihre Gedanken wanderten noch einmal zu dem Gespräch zwischen ihnen am Abendbrottisch zurück. Es war wie immer um die Schweine gegangen. Eine Sau mit Fieber hatte drei tote Ferkel geboren, im Abferkelstall war der Strom ausgefallen. War es notwendig, die Bestände zu erhöhen, um wirtschaftlicher zu arbeiten? Petra sträubte sich gegen den Gedanken, noch einmal zu investieren und die Schulden weiter in die Höhe zu treiben. Andererseits hieß es, entweder vorwärts zu gehenoder den Betrieb aufzugeben. Es war zum Verzweifeln. Petra fragte sich, ob ein Kind an dieser Misere psychologisch etwas ändern würde. Ob sie mehr riskieren würde, wenn da einer nachkäme, der den Hof vielleicht übernehmen könnte?
Diesen Gedanken hatte Petra
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