Kalter Mond
verliebt. Jeder hat so seine Krücken, nahm er an, aber manche Krücken verkrüppeln mehr als andere.
Keiner von Toofs ehemaligen Hausgenossen hatte irgendetwas Nützliches zu den Informationen beizutragen, die sie bereits hatten. Ja, sie hatten mal einen Typen namens Kevin Tait gesehen. Nein, kennen wäre zu viel gesagt. Als sie zum Präsidium zurückkamen, setzte sich Delorme an den Computer. Später kam sie mit einem Ausdruck an Cardinals Schreibtisch zurück.
»Ich hab mal sämtliche Typen namens Leon eingegeben, die wir in den letzten drei Jahren eingebuchtet haben. Rat mal, wie viele?«
»Keine Ahnung. Drei?«
»Keinen. Nicht einen. Aber jetzt sieh mal, was ich von Musgrave habe.«
»Musgrave? Doch nicht etwa Sergeant Malcolm Musgrave von der Royal Canadian Mounted Police? Du hast schon mit ihm telefoniert? Gibt es irgendwas in eurer Beziehung, wovon ich nichts weiß?«
»Mit Musgrave? Du machst wohl Witze.«
Cardinal nahm den Ausdruck und sah ihn sich an.
»Okay, ein gewisser Leon Rutkowski hat sich in Sudbury beim Heroinschmuggel erwischen lassen. Acht Jahre in Millhaven gesessen. Hat außerdem ein paar Vorstrafen wegen Körperverletzung und schwerer Körperverletzung. Leon scheint zu Jähzorn zu neigen.«
»Die Beschreibung passt zu dem, was sie uns in Toofs Haus erzählt haben«, sagte Delorme, immer noch mit dem Rücken zu ihm.
»Braunes Haar, blaue Augen, Narbe an der Stirn.«
»Sieh mal, was er bei seiner Festnahme gefahren hat.«
»Einen schwarzen TransAm. Allerdings steht hier unter einschlägig bekannte Komplizen nichts von einem Black Cloud.«
»Ich ruf Musgrave noch mal an«, sagte Delorme.
Während er wartete, versuchte Cardinal Catherine in ihrem Hotel zu erreichen. Die Chance, sie tatsächlich anzutreffen, war gering, das wusste er, und zum tausendsten Mal wünschte er sich, sie hätte immer ein Handy dabei. Er hinterließ eine Nachricht – er denke an sie. Machte sich Sorgen, wäre wohl treffender gewesen, und nachdem er aufgelegt hatte, spürte er ein wachsendes Unbehagen darüber, dass er sich um seine Frau sorgte, statt sich auf seinen Fall zu konzentrieren. Dann wieder hatte er Schuldgefühle wegen des Unbehagens.
Delorme zog sich bereits die Jacke an.
»Wo willst du hin?«, fragte er.
»Musgrave hat mir eine Kontaktperson genannt.«
35
C ardinal schlüpfte neben Delorme auf den Beifahrersitz. Sie setzte den Wagen zurück und ließ die Reifen quietschen. Wenn sie fuhr, zog Delorme die Augenbrauen zusammen. Sie hatte die ausdrucksvollsten Brauen, die Cardinal je gesehen hatte, und die verblassende hakenförmige Narbe verstärkte die Wirkung nur.
»Also, wo soll’s hingehen?«, fragte Cardinal.
»Alan Clegg. Er ist derzeit Musgraves Mann in der Drogenszene, zumindest für unser Viertel.«
»Nicht möglich, die haben doch seit mindestens zehn Jahren hier kein Sonderkommando mehr gehabt.«
»Es ist kein Sonderkommando. Sie haben drüben im Federal Building einen Aushilfsposten. Nur zwei Mann, die meiste Zeit ist Clegg hier allerdings allein.«
Sie parkte hinter dem Postgebäude, unter einem Schild mit der Aufschrift »Reserviert«. Sie nahmen den Fahrstuhl in den dritten Stock. Cardinal erinnerte sich noch an die Zeit, als die RCMP in Algonquin Bay ein ständiges Sonderkommando unterhielt. Es war schon immer eine kleine Station gewesen, nie mehr als vier Mann, die den Kollegen von der Kripo immer lieber aus dem Weg gegangen waren. Dann kam die Zeit der Kürzungen, und das Kommando war nur eines von vielen, die dichtmachen mussten.
Alan Clegg hatte sie wohl kommen gehört, denn er trat aus dem Büro, eine Silhouette vor dem Fenster am Ende des Flurs. »Sie müssen Delorme sein«, sagte er.
»Das ist mein Kollege, John Cardinal«, sagte Delorme.
Sie schüttelten sich die Hand. Clegg hatte die T-förmige Figureines Mittelgewichts. Er schien gegen Ende dreißig zu sein, doch er hatte sich nicht gehen lassen. Er führte sie in ein beengtes Büro, das mit zwei Metallschreibtischen und nicht viel mehr ausgestattet war. Es roch nach Kaugummi und kaltem Kaffee.
»Wenn ich richtig verstanden habe, wollen Sie über den Drogenhandel reden«, sagte Clegg. »Ich werde Ihnen alles erzählen, was ich sagen kann, ohne meine Quellen preiszugeben.«
Delorme warf Cardinal einen Blick zu, den er mit einem Nicken beantwortete. Sie machte den Anfang, sie hatte das Sagen.
»Sie wissen vermutlich von den zwei Morden, die wir kürzlich hatten«, sagte sie.
»Wombat Guthrie, sicher. Zu
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