Kalter Mond
Worth.
Keine Spur von ihr.
Leon überquerte die Kreuzung und fuhr einen halben Block langsam. Sie wollte in diese Richtung. Sie musste in eins von diesen Häusern gegangen sein.
Das, oder sie war vielleicht, nachdem sie die Worth Streetüberquert hatte, noch mal Richtung Norden auf die andere Straßenseite gegangen.
Er stieg aus, ohne auch nur abzuschließen, und rannte los. Ecke Station Street blieb er außer Atem stehen.
Angestrengt blinzelte er erst nach links, dann nach rechts in den Regen.
40
W ir müssen rauskriegen, wo sie wohnt«, sagte Leon. »Das Miststück darf nicht am Leben bleiben. Die verpfeift mich, und ich geh für immer in den Knast, Mann. Noch einmal pack ich das nicht, ich geh nicht wieder in den Bau.«
Red Bear bürstete sich das Haar. Jeden Morgen brachte er eine Menge Zeit damit vor dem Spiegel zu, als wäre er in das, was er da sah, verliebt oder so.
»Wir müssen was unternehmen«, sagte Leon. Er hörte den jammernden Ton in seiner eigenen Stimme, aber er war machtlos dagegen. »Wir müssen was tun, wir müssen was planen, Mann.«
Red Bear sah ihn im Spiegel an.
»Ich werde die Geister befragen.«
»Tu das von mir aus, Mann. Kapierst du das nicht? Sie geht zu den Bullen, und ich wander wieder ins Millhaven. Weißt du, wie lange sie mich in Einzelhaft gesteckt haben?«
»Achtundvierzig Tage. Hast du mir bereits erzählt.«
»Hab ich das, ja, versuch du mal, achtundvierzig Tage in so einem Scheißdrecksloch auszuhalten. Dann wollen wir mal sehen, wie lange du cool bleibst, Mann. Ich will dieses Miststück abknallen, um die Ecke bringen. Die kann nicht einfach frei rumlaufen.«
»Ich werde die Geister befragen, Leon.«
»Wir haben schon Kevin gefangen, wir könnten ein Opfer bringen, Mann, ein doppeltes Opfer. Das sollten wir tun. Damit diesmal nichts schief gehen kann.«
»Wir werden ein Opfer bringen, wenn die Zeit dafür reif ist.«
»Worauf warten wir dann? Lassen wir die Geister im großen Stil für uns arbeiten. Legen wir los, Mann.«
Red Bear legte die Bürste weg und nahm eine Spraydose zur Hand. Er sprühte sich etwas auf die Handfläche und rieb die Hände aneinander. Dann strich er sich damit übers Haar. Noch einmal nahm er die Bürste zur Hand.
»Ich hab dir das bereits erklärt. Ich kann kein Opfer zelebrieren, bis der Mond wieder zunimmt. Im Moment nimmt er noch ab. Führ ein Opfer durch, während der Mond abnimmt, und das Wesen hat Macht über
dich
. Das wollen wir doch nicht.«
»Was ich will, ist ein toter Rotschopf, sonst gar nichts.«
Red Bear drehte sich zu ihm um. Diese Augen. Manchmal fing sich das Licht auf besondere Art darin, und man hatte den Eindruck, als starrte einen eine Leiche an.
»Wer ist denn schuld, dass sie noch lebt?«
»Das kannst du nicht mir in die Schuhe schieben. Das liegt an dieser Scheißknarre, Mann. Hab ich dir doch gesagt. Ich hab Toof zwei von diesen beknackten Kugeln ins Hirn geblasen, und es hat ihn nicht umgehauen. Der Kerl ist immer noch auf den Beinen und quatscht mir die Hucke voll. Musste mit meinem Louisville Slugger auf ihn los. Hätte ich das gewusst, hätte ich ihr fünf statt eine reingejagt, Mann. Ich kann nix dafür, ich meine, was zum Teufel hab ich falsch gemacht?«
Red Bear wandte sich wieder dem Spiegel zu.
»Versuch, nicht in Panik zu geraten, Leon. Ich werde die Geister befragen.«
41
L ise Delorme hatte schon mächtig viel Zeit auf eine Spur verschwendet, die sie mit ziemlicher Sicherheit in eine Sackgasse führen würde.
Jerry Commanda zufolge hatten die seltsamen Hieroglyphen an der Höhlenwand hinter den Nishinabe-Fällen nichts mit Ojibwa-Indianern zu tun. Also hatte Delorme seinen Rat befolgt und Frank Izzard von der OPP, Abteilung für Verhaltensforschung, um Rat gefragt und ihm ein Foto von den Zeichen gefaxt.
Bevor sie ihn anrief, hatte sich Delorme über Google zu Izzard schlau gemacht. Izzard war Polizist mit einem höheren Abschluss in Psychologie und einem besonderen Interessenschwerpunkt in Satanismus und anderen esoterischen Praktiken, die über die letzten Jahrzehnte immer wieder Serienmörder magisch angezogen hatten. Seine Aufsätze zum Thema waren in verschiedenen Fachzeitschriften erschienen, und er hatte ein viel beachtetes Buch über Richard Ramirez geschrieben, den so genannten Night-Stalker, der vor zwanzig Jahren Los Angeles in Angst und Schrecken versetzt hatte. Allein durch ihre Internetlektüre wurde Delorme bewusst, dass Satanismus unter Serienmördern viel
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