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Kalter Mond

Kalter Mond

Titel: Kalter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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hatte, wo sie hingegangen war. Zu ihren Lieblingsattraktionen in Toronto gehörten die vielen Restaurants; sie hatte einen weitaus experimentierfreudigeren Gaumen als Cardinal. Als er sie das letzte Mal anrief, hatte er nicht mit ihr reden können. Er hoffte, dass sie nur gerade unter der Dusche gestanden hatte oder zu ein paar Nachtaufnahmen noch einmal rausgegangen war, doch er spürte diesen gewissen Druck in der Brust, der sich jedes Mal dort einnistete, wenn er sich um seine Frau Sorgen machte.
    Sein Telefon klingelte, und für den Bruchteil einer Sekunde war er sicher, dass es Catherine sein musste, bis er sah, dass der Anruf nicht auf seiner Durchwahlleitung hereinkam.
    »Cardinal, Kripo Algonquin Bay.«
    »Oh, hallo. Ehm, ich weiß nicht recht, wo ich anfangen soll …«
    Eine Frauenstimme, vielleicht mittleren Alters, vage vertraut.
    »Mein Name ist Christine Nadeau. Studentin bei Ihrer Frau. Wir haben uns vor ein paar Tagen kennen gelernt.«
    »Ach so, ja, ich erinnere mich.« Cardinal schaffte es, einen gleichmütigen Ton anzuschlagen, doch in Wahrheit verließ ihn der Mut. Nach fünfundzwanzig Ehejahren mit Catherine hatte er den Überblick darüber verloren, wie viele Anrufe dieser Art er schon bekommen hatte. Die ersten chemischen Botenstoffe der Angst machten sich in seinem Blutstrom breit. Aus irgendwelchen Tiefen seiner abtrünnigen Katholikenseele erhob sich das Gebet: Bitte, lieber Gott, mach, dass nichts Schlimmes mit ihr ist.
    »Also, ehm, ich weiß wirklich nicht, wie ich es sagen soll. Und ich hoffe, dass Sie mir nicht böse sind, dass ich Sie anrufe. Ich versichere Ihnen, es ist nur aus Sorge um Catherine. Ich meine, sie ist eine wundervolle Fotografin und eine großartige Lehrerin. Das ist der dritte Kurs, den ich bei ihr mache.«
    »Okay. Wie wär’s, wenn Sie mir einfach erzählen würden, was los ist?« Lieber Gott, bitte, lass es nicht zu schlimm sein. »Alles in Ordnung bei ihr?«
    »Also, nein, nicht so ganz. Ich meine, ich glaube nicht. Ich hab mit zwei von den anderen Studenten gesprochen, und eine hat gemeint, ich sollte nicht anrufen, und die andere fand, besser doch, also …
    In den letzten anderthalb Tagen oder so hat sie sich ein bisschen seltsam benommen. Geplant war, dass wir uns morgens alle an einer bestimmten Stelle treffen, ein paar Stunden fotografieren und dann wieder zum Mittagessen zusammenkommen. Na ja, gestern oder vorgestern haben wir uns an einer alten Zementfabrik getroffen, und normalerweise konzentriert sich Catherine immer aufs Wesentliche, wissen Sie: Mit welchen Schwierigkeiten haben wir es bei diesem Sujet zutun, welche besonderen Vorzüge bietet es, und wie gehen wir’s an?
    Aber gestern Vormittag hat sie sich wirklich mächtig über die Provinzpolitik aufgeregt, über Energiepolitik und Kernenergie und all so was, man hätte glatt denken können, sie führt einen Wahlkampf oder so – sie ging voll ab. Tut mir leid, wenn das irgendwie gemein klingt …«
    »Hat irgendjemand versucht, sie wieder auf das eigentliche Thema zu bringen?«, fragte Cardinal. »Auf den Punkt?«
    »Ja, schon, ich. Die Sonne stand noch sehr tief hinter den Fabriktürmen, und ich hab ihr eine Frage in Bezug auf Gegenlicht und Silhouetten gestellt. Sie ging einfach drüber hinweg und ließ sich endlos über den Queen’s Park aus und dass man denen da oben mal klar machen muss, was Sache ist. Ich merke schon, das klingt gar nicht so dramatisch – ich meine, es gibt nun mal Leute mit leidenschaftlichen Überzeugungen.«
    »Aber es war unangebracht, wollen Sie sagen.«
    »Ganz und gar. Und passte auch gar nicht zu ihr. Ich bin sicher, Catherine hat ihre politischen Überzeugungen, aber in den Kursen, die ich bis jetzt bei ihr gemacht habe, kam noch nie so etwas auf. Ich hab schon einige Zeit mit ihr in Dunkelkammern zugebracht, und es ist immer nur um die Arbeit gegangen. Deswegen unter anderem ist sie ja so phantastisch. Sie ist vollkommen bei der Sache. Und so verlässlich.«
    Das ist Catherine, dachte Cardinal. Das heißt, in ihren guten Phasen.
    »Isst sie einigermaßen?«
    »Wollte gerade drauf kommen. An dem Tag nach unserer Ankunft fing sie, glaube ich, an, nur noch von Milchshakes zu leben. Ich meine, buchstäblich. Sie nennt das Kraftnahrung. Ich glaube, sie schluckt ansonsten nichts weiter als Vitamintabletten.«
    »Haben Sie mitbekommen, ob sie Alkohol getrunken hat?«
    »Nicht viel. Nicht, dass ich wüsste. Ein paar Gläschen Wein gestern Abend, und, Junge, Junge, das hat

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