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Kalter Mond

Kalter Mond

Titel: Kalter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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sie ganz schön in Fahrt gebracht. Sie war nicht betrunken oder so. Eher das Gegenteil. Sie wurde sehr ernst, sehr energiegeladen. Ich meine, ich war völlig kaputt, aber nicht Catherine. Sie wollte raus und noch mehr Fotos machen, und ich glaube, das hat sie auch getan. Ich glaube, sie schläft nicht viel, wenn überhaupt. Ich muss Ihnen leider sagen, dass sich einige Studenten bei der Uni über sie beschweren wollen. Würde mir nie einfallen, aber sie zahlen für die Exkursion, und sie soll ja eigentlich unterrichten und nicht …«
    »Wissen Sie, wo sie gerade ist?«
    »Nein, leider nicht. Deshalb ruf ich an. Sie sollte mit uns zu Abend essen – ein ruhiges Essen nur mit ein paar von uns –, aber sie ist nicht erschienen, und in ihrem Hotelzimmer meldet sie sich auch nicht.«
    »Okay. Ich gebe Ihnen mal meine Handynummer. Haben Sie was zu schreiben?« Er diktierte ihr die Handywie auch seine Nummer zu Hause. »Wenn Sie sie sehen, bitten Sie sie doch, mich sofort anzurufen. Ich komm runter.«
    »Tatsächlich? Nach Toronto? Sie meinen, es ist so ernst? Ich wollte Sie nicht mehr als nötig beunruhigen, ich dachte nur …«
    »Nein, nein. Ich bin sehr dankbar, dass Sie angerufen haben. Falls Sie sie sehen, wäre es gut, wenn sie da bliebe, wo sie ist. Oder, falls sie doch wieder loszieht, wenn Sie in ihrer Nähe bleiben und mir sagen könnten, wo Sie sind. Ich müsste in spätestens vier Stunden da sein. Können Sie bis Mitternacht aufbleiben?«
    »Ja, natürlich. Ich bin im Chelsea, Zimmer 1016. Das ist direkt neben ihrem, ich müsste also hören, wenn sie reinkommt.«
    Cardinal bedankte sich noch einmal und legte auf.
    Wie oft noch, fragte er sich, wie oft noch werde ich das machen, bevor wir sterben? Der Regen trommelte derart heftig an die Windschutzscheibe, dass die Scheibenwischer sie selbst auf der höchsten Stufe nicht freihalten konnten. Wie oft habe ich das schon getan? Der Anruf aus dem Nichts, der überstürzte Aufbruch nach einem langen Arbeitstag und die Panik – die schiere Panik, nicht zu wissen, wo Catherine ist oder was sie gerade treibt.
    Cardinal hatte sich an einem Burger King was zu essen geschnappt, und jetzt stank der Wagen danach. Die Wärme, die seine Mahlzeit ausdünstete, hatte die Windschutzscheibe von innen beschlagen. Er stellte das Gebläse höher und machte das Radio an. Die Auswahl zwischen Rocksongs, Country Music und einem Interview mit einem gälischen Dichter war schlimmer als die Geräusche von Wind und Regen, und so machte er wieder aus.
    Die ersten vierzig Meilen nach South River hinunter waren die reinste Qual. Der Highway war einspurig, und bei den Wetterverhältnissen war es nicht ratsam zu überholen. Als er erst mal auf der Höhe von Bracebridge war, wurde es besser, und er hielt den Tacho auf 30 über der Geschwindigkeitsbegrenzung ein. Er glaubte kaum, dass es an einem Abend wie diesem von OPP-Kollegen wimmelte.
    Von unterwegs rief er im Clarke Institute an. Während ihrer zehn Jahre in Toronto war Catherine dort oft behandelt worden. Cardinal betete, dass Dr. Jonas noch dort war. Bei der Notaufnahme erfuhr er, der Doktor arbeitete tatsächlich noch bei ihnen, werde jedoch nicht vor dem kommenden Nachmittag zum Dienst erwartet. Cardinal erklärte die Situation und kündigte vorsorglich an, dass er, wenn er Glück hätte, mit Catherine vorbeikommen würde. Die Frau am anderen Ende versprach, Dr. Jonas anzurufen und ihm Bescheid zu geben. Sie fand den richtigen Ton, eine Mischung aus professionellerSachlichkeit und freundlicher Anteilnahme, doch sie klang auch schrecklich jung.
    Cardinal versuchte, seine Gedanken unter Kontrolle zu bringen und sich nicht übermäßig zu sorgen. Doch wenn sie manisch war, konnte Catherine Furcht erregende Dinge tun. Als sie noch in Toronto wohnten und Kelly noch ein kleines Mädchen war, hatte Catherine sich einmal per Anhalter zu einer internationalen Wirtschaftskonferenz am Lake Couchiching aufgemacht. Zum Glück hatte ein Lkw-Fahrer, der sie auf der Höhe von Barrie aufgegabelt hatte, ihren Zustand erkannt und die Umsicht wie die Freundlichkeit besessen, die örtliche Polizei anzurufen, die ihrerseits Cardinal in Toronto aufspürte.
    Ein andermal hatte sie an einer Fotoserie über Obdachlose gearbeitet. Anfänglich stattete sie ihnen nur tagsüber Besuche ab, und sie erlaubten ihr, sie selbst wie auch ihre improvisierten Behausungen zu fotografieren. Sie hatte einen Wettbewerb auf Provinzebene gewonnen und gelangte sogar unter die

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