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Kalter Mond

Kalter Mond

Titel: Kalter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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die Kuratorin an. Trotz des Bubikopfs und des hippen T-Shirts schien es, als habe sie das Gespräch über Gewalt ein wenig altern lassen.
    »Sie sind sehr blass«, sagte Delorme. »Fühlen Sie sich nicht gut?«
    »Doch, doch, alles bestens. Es ist nur – na ja, was Sie daerzählen …« Dr. Wasserstein schüttelte den Kopf, als könnte sie damit die brutalen Bilder weit von sich schleudern.
    »Was ich sagen wollte – mag ja sein, dass die Missionare, die so was bezeugt haben, Vorurteile oder auch ein Interesse daran hatten, sich so was auszudenken. Die Möglichkeit ist zumindest nicht von der Hand zu weisen. Aber es waren größtenteils Jesuiten, und die entsprechenden Aussagen stehen nicht in Traktaten oder Predigttexten. Sie finden sich in Erfahrungsberichten, die sie an ihre Ordensleitung daheim geschickt haben – mit anderen Worten, es gab keinen Anlass, irgendjemandem Angst einzujagen. Sie haben einfach nur der Zentrale berichtet, womit sie sich herumschlagen müssen. Ähnliche Berichte gibt es von ihnen außerdem in Nordamerika. Wir wissen, dass die Irokesen Pater Brébeuf entsetzlich gefoltert und ihm das Herz herausgeschnitten haben. Die Huronen haben an ihren Feinden ähnliche Grausamkeiten begangen. Und bei diesen Berichten wissen wir, dass sie nicht frei erfunden sind.«
    »Und die Verstümmelung?«
    »Gott, das ist grauenhaft. Zwei Dinge spielen dabei eine Rolle: zunächst einmal der Wunsch, so viel Schmerz wie möglich zuzufügen. Man erlangt nämlich, wenn das Opfer schreit und um sein Leben fleht, in der Anderwelt Kontrolle über seinen Geist. Man kann ihm befehlen, für einen hierhin und dorthin zu gehen, etwas in Erfahrung zu bringen, etwas zu erledigen. Diese Vorstellung findet sich in vielen heidnischen Religionen. Hier liegt der Grund für die Verstümmelung. Damit der Geist herumkommt und diese Dinge für einen tut, benötigt er Füße zur Fortbewegung, Finger zum Tasten und Greifen und vielleicht sogar ein Gehirn zum Verstehen. Also schneidet der Schamane sie ab und wirft sie in einen Hexenkessel. Bei Palo Mayombe wird mit einigen Stöcken oder
palos
im Kessel gerührt, um den Geist zu beherrschen. Wennman sich erst einmal einen solchen dienstbaren Geist geschaffen hat, wird wiederum frisches Blut benötigt, um ihn unter Kontrolle zu behalten.«
    »Das klingt nicht gut«, sagte Delorme. »Heißt das, es wird wahrscheinlich weitere Opfer geben?«
    »Ich fürchte, ja.«
    »Und trotzdem gibt es so viele, die darin nichts weiter als eine harmlose Variante von Voodoo sehen?«
    »Ja. Ich persönlich denke, sie liegen falsch. In dieser Hinsicht glaube ich den Jesuiten. Und außerdem haben Sie diese verstümmelte Leiche, Sie haben die
palos
, und Sie haben die Kaurimuscheln. Somit haben Sie es entweder mit einem Palo-Mayombe-Priester zu tun, der den alten Glaubensvorstellungen anhängt, oder aber mit jemandem, der diese Vorstellungen grässlich entstellt hat – in beiden Fällen mit einem Monster.«

42
     
    D as Büro ging Cardinal langsam, aber sicher auf den Geist. McLeod schnauzte am Telefon einen Rechtsanwalt an. Am anderen Ende des Raums begann Szelagy schon wieder zu pfeifen, obwohl sie ihm schon zweimal gesagt hatten, er solle das lassen. Und jemand anders hämmerte mit der Faust auf den Kopierer, als könne ihn das anspornen zu funktionieren.
    Kein Wunder, dass ich gern mit Delorme zusammenarbeite, dachte Cardinal. Sie ist die Einzige in diesem Raum, die man gerne um sich hat. Nur war Delorme gerade nicht da; ihr Tisch war leer. Sie war hinter den Hieroglyphen her.
    Cardinal hatte sich eine größere Kiste Material aus der Asservatenkammer ausgeliehen und ging sie durch, indem er jedes einzelne Stück herausholte und auf den Tisch legte. Es waren Gegenstände darunter, die vom Tatort von Wombat Guthries Ermordung stammten, derselben Stelle, vermutete er immer mehr, an der Terri Tait angeschossen worden war. Da war die seltsame Sammlung gerader Stöcke, die sie inzwischen von der Gerichtsmedizin mit der Bestätigung zurückhatten, dass die verfärbten Enden in Blut getaucht gewesen waren, sowohl tierischen als auch menschlichen Ursprungs. Die DNA-Ergebnisse waren noch unvollständig. Dann kam der Gipsabdruck der Reifenspur vom Tilley-Fundort. Collingwood hatte sie einem Bridgestone RE 71 zugeordnet, die Art Reifen, die man an einen Angeberwagen, möglicherweise einen TransAm montiert. Bei seinem nächsten Griff in die Kiste zog er das Silbermedaillon heraus. Er ließ die Schließe

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