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Kalter Mond

Kalter Mond

Titel: Kalter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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– auf Zehenspitzen auf dem Knochengerüst von etwas so Grandiosem – einem künftigen Wolkenkratzer. Es liegt so viel Kraft in diesem Ort!«
    »Catherine, du fühlst dich so großartig, weil deine Medikamente nicht mehr ausgewogen sind. Überleg bitte mal, Liebling. Das hier kommt immer vor einem schrecklichen Tief. Warten wir also nicht so lange, sondern sehen wir zu, dass wir dich möglichst schnell zum Arzt bringen, so dass es eine sanfte Landung wird.«
    »Ach John, John.« Ihr Ton war mitleidig. »Du müsstest dich mal hören, dann würdest du nie wieder solche Dinge zu mir sagen.«
    Cardinal stieg die letzten Stufen hoch; jetzt war er auf ihrer Höhe. Er ging langsam auf sie zu, während er die Angst in seiner Brust niederkämpfte.
    »Wie ich bereits sagte«, fuhr sie fort, »bevor ich so rüde unterbrochen wurde: Ein unfertiger Bau ist ein Zeugnis der Hoffnung. Es ist in Stahlbeton gegossener Optimismus. In zweitausend Jahren wird ein Mann, eine Frau – oder auch ein Androide – sich diesen Träger anschauen (der dann zweifellos in einem Haufen Schutt und Asche versunken ist) und sich über den Mann Gedanken machen, der ihn hier eingepasst hat. Was wird er sich denken? Dieser Träger, dieses schlichte alte Stück Stahl, wird die Zeiten überbrücken. Wird dieser Mann in der Zukunft sich fragen, ob eine Frau – vielleicht eine leicht verrückte Frau (ihrem ach so prosaischen Mann zufolge nur eine Frage der richtigen Dosis Medikamente) – mit ein paar Kameras über der Schulter darauf balanciert ist und an ihn dachte, zweitausend Jahre in die Zukunft? Wir fahren hier mit einer Zeitmaschine. Nur gut festhalten, dann zappt sie uns ins Jahr fünftausend.«
    »Schatz, komm zu mir rüber.«
    »Wieso? Es ist aufregend hier draußen. Du kannst dir nicht vorstellen, was für kreative Impulse ich hier bekomme.«
    »Catherine, hör mal, deine Medikamente sind aus dem Gleichgewicht, und du bist high. Es ist genauso, als würde dirjemand eine Nadel in den Arm stechen. Das bringt dich dazu, gefährliche Sachen zu tun.«
    »Riskante Sachen. Risiko ist nichts Schlechtes, John. Wo stünden wir heute, wenn niemand ein Risiko wagte? Der Feuerwehrmann, der in das brennende Gebäude rennt, der Chirurg, der sich an den Tumor heranwagt, van Gogh, der mit seinem Feuerpinsel malt?«
    »Komm zu mir, Liebling. Du machst mir Angst.«
    »John Cardinal gibt zu, Angst zu haben. Wer hätte das gedacht? Na jedenfalls,
ich
hab keine Angst.« Catherine drehte sich erneut auf dem Träger und breitete die Hände aus wie Liza Minnelli, die einen Song herausschmettert. Sie brüllte so laut, dass das Echo von Stahl und Beton und, wenn Cardinal sich nicht täuschte, auch von den umliegenden Häuserblocks zurückgeworfen wurde. »Allen, die zugegen sind, und allen Untertanen auf meinem Hoheitsgebiet und meinen Ländereien sei hiermit zu wissen kundgetan, dass ich, Catherine Eleanor Cardinal, aus meinem Königreich – korrigiere, Königinreich – eine jegliche Art von Furchtsamkeit, Ängstlichkeit, Zaghaftigkeit, eine jegliche Form von Zittern und Zagen, welcher Art sie auch sei, jetzt und immerdar verbanne. Kein Mensch – ob männlichen oder weiblichen Geschlechts – darf bei Strafe einer kräftigen Tracht Prügel auch nur ein Fünkchen Angst in die kleinste Ångström-Einheit einschleusen oder auf andere Weise einführen.«
    »Catherine.«
    Wieder wirbelte sie herum und stürzte um ein Haar. Cardinal schrie, doch sie richtete sich wieder auf und sah ihn wütend an.
    »Hör zu, John. Ich bin kein Kind. Ich bin nicht dein Mündel, ich bin deine Frau. Ich bin ein empfindsames menschliches Wesen. Ich bin ein Geschöpf mit einem freien Willen. Ich tu, was ich will, wann ich es will. Ich brauch keinen Hüter,und ich brauch keine verdammte Leine. Wenn es dir also in meiner Gesellschaft so, wie sie jetzt ist, nicht gefällt, dann scher dich zum Teufel und kehr in dein verfluchtes Algonquin Bay zurück.«
    Cardinal setzte sich auf die Kante des Betonbodens, auch wenn ihm davon die Schenkel zitterten.
    »Komm, setz dich neben mich, Liebling. Ich bin hier, weil ich dich liebe. Aus keinem anderen Grund.«
    »Lieben heißt nicht
besitzen
. Du willst, dass du nur mit den Fingern zu schnippen brauchst, und ich folge dir auf dem Fuße.«
    Das war das Schlimmste von allem.
    Ihr lebensgefährliches Verhalten konnte er beinahe ertragen. Ihr plötzliches Verschwinden, die wilden Ansprüche, die theatralischen Gesten, all das konnte er beinahe ertragen. Doch

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