Kalter Mond
zeigen würden, wo die Stereoanlage stand?«, schlug Cardinal vor.
Milcher blickte von Cardinal zu Delorme und wieder zu Cardinal.
»Hier drin.«
Sie folgten ihm in ein Wohnzimmer, das fast vollständig weiß eingerichtet war: weißer Teppich, weiße Gardinen, weißes Kunstledersofa und passender Lehnstuhl. Milcher deutete auf eine Vitrine mit einer Yamaha-Stereoanlage und den dazugehörigen Lautsprechern.
Delorme ging hinüber und sah sie sich an.
»Sie haben aber ziemlich schnell Ersatz gefunden.«
»Die ist alt, ich hab sie aus dem Keller geholt.«
»Sieht gar nicht alt aus.«
»Sieht eigentlich zu teuer aus, um im Keller zu stehen«, fügte Cardinal hinzu.
Milcher zuckte die Achseln. »Ich sehe nicht, was das alles mit meiner Pistole zu tun hat. Haben Sie sie nun gefunden oder nicht?«
»Wo hatten Sie die Waffe denn aufbewahrt?«, fragte Delorme.
»In dem Kästchen da.« Milcher wies auf eine kleine Eichenschatulle in der Vitrine. Der Verschluss war aufgebrochen.
»Wer wusste sonst noch, dass Sie sie dort aufbewahren?«
»Niemand. Na ja, meine Frau, aber sonst keiner. Hören Sie, Sie haben mir immer noch nicht gesagt, ob die Pistole wieder aufgetaucht ist oder nicht. Ich hab sie ordnungsgemäß gemeldet. Ich denke, ich hab ein Recht, es zu wissen.«
»Ihre Pistole ist noch nicht wieder aufgetaucht«, sagte Cardinal. »Aber wir glauben, eine Ihrer Kugeln schon.«
»Ich verstehe nicht ganz.«
»Haben Sie die Munition zusammen mit Ihrer Waffe aufbewahrt?«
»Ehm, ja. Die Kugeln wurden auch gestohlen. Waren allerdings schon ziemlich alt. Ich war nicht mal hundert Prozent sicher, ob sie noch funktionieren würden, um ehrlich zu sein.«
»Kennen Sie diese Frau?«, fragte Cardinal. Er reichte Milcher das Foto von Red, das er an dem Morgen im Krankenhaus gemacht hatte. Der Verband war nicht zu sehen, und auch sonst verriet nichts, wo sie sich befand. Sie sah aus, als hätte man sie beim Tagträumen überrascht.
»Die hab ich noch nie gesehen«, sagte Milcher. »Wieso?«
»Weil, wie’s aussieht, eine von Ihren Kugeln in ihrem Schädel steckte«, sagte Cardinal.
»Oh, mein Gott. Das ist ja schrecklich. Aber ich hab damit nichts zu tun. Verdammt. Ich hab das Ding als gestohlen gemeldet, sobald ich merkte, dass es nicht mehr da ist.«
»Und woher sollen wir wissen, dass Sie das nicht nur getan haben, weil Sie genau wussten, was Sie damit vorhatten?«
»Hören Sie, ich hab diese Frau noch nie gesehen. Ich habe mit der Sache nichts zu tun. Ich hab die gestohlene Waffe gemeldet und hab nicht den blassesten Schimmer, wer sie gestohlen hat, Punkt.«
»Hör mal, was hat der ganze Quatsch eigentlich zu bedeuten, Rodney?«
Alle drei drehten sie sich zu Mrs. Milcher um, die jetzt mit einem Backofenhandschuh im Türrahmen stand.
»Halt du dich da raus, Lorraine.«
Mrs. Milcher ließ einen theatralischen Seufzer vom Stapel. »Um die Wahrheit zu sagen, ist mein Mann nie erwachsen geworden. Wenn Sie das Zweirad in der Einfahrt gesehen haben, dürfte Ihnen klar sein, dass er von so was wie
Easy Rider
träumt. Er würde immer noch am liebsten mit den großen Jungs rumfahren.«
»Ich
bin
mit ihnen rumgefahren«, sagte Milcher. »Vor zehn Jahren war es vorbei, und ich hab bei nichts anderem mitgemacht, was sie so getrieben haben. Aber ich bin viel mit ihnen rumgefahren.«
»Sicher doch. Und ich hab mal bei den Spice Girls gesungen.«
»Von wem ist hier eigentlich die Rede?«, fragte Delorme. »Wer sind die so genannten großen Jungs?«
»Die Viking Riders«, sagte Mrs. Milcher. »Ich meine, hält die nicht jeder für Helden?«
»Ich halte sie nicht für Helden«, stellte Milcher klar. »Ein paar von denen sind alte Freunde, weiter nichts.«
»Werd endlich erwachsen, Rod. Einer von denen war vordrei Wochen hier, kurz bevor diese beschissene Waffe verschwand.« Sie wandte sich an Delorme, als könnte nur eine Frau verstehen, was es hieß, sich mit einem unfähigen männli-chen Exemplar rumzuschlagen. »Diesem Genie hier kommt es auf einmal in den Sinn, bei seinem Viking-Kumpel Eindruck zu machen, indem er diese kleine Pistole rausholt.«
»Hör endlich auf, Lorraine.«
»Soll ich Ihnen mal sagen, was ich denke?«, sagte Delorme zu Milcher. »Ich denke, Ihre Stereoanlage wurde nie gestohlen. Ich denke, das haben Sie nur gesagt, damit es so aussieht, als hätten Sie nicht die geringste Ahnung, wer Ihre Pistole entwendet hat. Denn wenn nur die Waffe gestohlen wurde, dann ließe das darauf schließen, dass der
Weitere Kostenlose Bücher