Kalter Mond
genau? Wissen wir, was wir als Nächstes zu tun haben?«
»Allerdings. Ich hab Ort und Zeit und sogar eine Adresse.« Red Bear schlug sich auf die Knie und sah die anderen an. »Hattet ihr Angst?«
»Nein, es war phantastisch«, sagte Toof. »Wie im Kino, Mann. Cooler Tanz.«
»Und du?« Red Bear sah Leon an.
»Nö, ich hatte keine Angst, auch wenn ich mich schon wohler gefühlt habe.«
»Und du?« Red Bears Blick fiel auf Kevin.
»Nervös«, räumte Kevin ein. »Die Sache mit der Stimme hat mich ganz schön nervös gemacht. Außerdem hast du ’ne Menge Blut an dir.«
Red Bear betrachtete seine Arme, als sähe er sie zum ersten Mal. Er drehte seine Feldflasche auf und goss sich nacheinander Wasser auf beide Arme. Er brauchte ein paar Minuten, um das Blut abzukriegen.
»Hast du da drüben wirklich ein Schwein erlegt?«, fragte Toof.
Red Bear ignorierte die Frage oder hörte sie einfach nicht, während er sich darauf konzentrierte, sich rein zu waschen. »Meine Stimme war vermutlich auch verändert, oder?«
»Kann man wohl sagen«, bestätigte Toof. »Du hast dich ganz undeutlich angehört.«
»Das ist nicht meine Stimme. Das ist der Geist, der durch mich spricht. Er will nicht reden, das macht die Sache manchmal schwierig. Aber was er mir gesagt hat …« Red Bear schüttete den Rest aus seiner Flasche übers Feuer, so dass es zischte und dampfte. »Falls das, was er mir gesagt hat, stimmt, werden wir sehr erfolgreich sein.«
»Wann?«, wollte Toof wissen. »Wann soll’s denn losgehen?«
»In drei Tagen. Wir werden zusammen einen kleinen Ausflug machen.«
»Wohin? Wo willst du hin?«
»Du stellst zu viele Fragen. Ich sag euch, wohin, wenn es so weit ist.«
Ein paar Tage später ließ Red Bear Leon die anderen zusammentrommeln und zum Rosebud rauskommen. Leon weigerte sich, ihnen zu sagen, worum es ging; es sollte eine Überraschung sein. Red Bear wartete an seinem üblichen Tisch.
»Ich hab das perfekte Zuhause für uns gefunden«, sagte er und warf für seinen Kaffee einen Fünf-Dollar-Schein auf den Tisch.
Draußen stieg er in seinen BMW, und die Übrigen folgten in Leons TransAm. Wie sich zeigte, steuerten sie ein verlassenes Sommerlager draußen am Südufer des Lake Nipissing an. Die Ansammlung kleiner Blockhütten sollte aller Wahrscheinlichkeit nach abgerissen werden, um einem Hotelneubau Platz zu machen.
Red Bear hatte Beziehungen zur Abrissfirma und mit den Leuten vereinbart, dass er die Hütten über den Sommer benutzen durfte. Das Lager umfasste ein überwuchertes Baseballspielfeld, eine große, aus Steinen gebildete Feuerstelle zum Kochen unter freiem Himmel und einen verfallenen Anlegeplatz.
»Mann, wir haben sogar einen eigenen Strand und so«, sagte Toof. »Volleyballpfosten, vielleicht lässt sich sogar irgendwo ein Netz auftreiben.«
»Wieso? Willst du ’ne Mannschaft aufmachen?«, fragte Leon zurück. »Es gibt kein Netz, keinen Ball – rein gar nichts. Wir haben nur die Hütten.«
»Was soll der Spaß denn kosten?«, fragte Kevin.
»Keinen Cent«, sagte Red Bear und lächelte hinter seinerblitzenden Sonnenbrille. »Wir zahlen nur für Strom und Wasser.«
Noch am selben Tag waren sie alle eingezogen. Jeder hatte seine eigene Hütte, und sie konnten kommen und gehen, wie sie wollten. Die Kochgelegenheiten waren im Lager allerdings äußerst bescheiden, so dass sie oft im Rosebud essen würden, doch Red Bear und Leon verbrachten so viel Zeit wie möglich im Camp. Kevin und Toof dagegen zogen tagsüber das städtische Leben vor, doch die Miete war unschlagbar.
Ein paar Tage nach seinem Umzug ins Lager fand sich Kevin abends im Heck eines kleinen Kajütbootes wieder, auf dem Weg durch die kabbeligen Wellen der nördlichen Bucht. Toof lehnte sich über das Dollbord und ließ die Hand ins Wasser baumeln. Leon war am Ruder, während Red Bear es sich auf dem großen Ledersitz neben ihm gemütlich gemacht hatte. Ein angedeutetes Lächeln auf den Lippen, drehte er sich langsam in alle Richtungen und wieder zurück. Er trug immer noch seine Sonnenbrille, auch wenn es lange nach Sonnenuntergang war. Von Westen her blies eine steife Brise, und Kevin bereute, dass er keine Jacke mitgenommen hatte. Sie hatten an einem privaten Steg in Shanley abgelegt und sausten jetzt über die Weite der Bucht. Sie waren so weit draußen, dass Autoscheinwerfer zu Glühwürmchen schrumpften. Der silbrige Turm der Kathedrale und die Wohnblöcke, die zusammen die Skyline von Algonquin Bay bildeten,
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