Kalter Mond
rechten Sehnerv getroffen. Gleichgewicht, Sehkraft, Gehör müssen augenblicklich beeinträchtigt gewesen sein. Der Schaden ist genauer gesagt katastrophal, doch bei diesen wenig durchschlagskräftigen Kugeln nicht unbedingt sofort tödlich. Der Auftreffwinkel deutet darauf hin, dass das Opfer zumindest bei einem Schlag mit dem Baseballschläger noch stand.«
»Demnach hat er vielleicht aus Frustration nachgeholfen«, sagte Delorme. »Als er nicht gleich fällt, geht der Kerl mit dem Schläger auf ihn los.«
»Das würde sich mit dem, was ich hier sehe, decken. Nahtlos sogar, Detective.«
»Danke, Doktor.«
Cardinal wandte sich an Weisman. »Wen haben Sie drüben in der Ballistik?«
»Einen Kerl namens Cornelius Venn. Er ist sehr gut. Haben Sie schon mal mit ihm zusammengearbeitet?«
»Sie werden den Mann lieben«, sagte Cardinal zu Delorme. »Ich lass Sie die Fragen stellen.«
Anständiger Christenmensch, dachte Delorme, als sie Cornelius Venn mit seiner gelben Fliege und seinen redlich runden Brillengläsern sah. Der Typ, der, die Bibel unterm Arm und ein Lächeln so breit wie der Lake Nipissing, bei dir auf der Matte steht. Einer, der anhält und dir hilft, wenn du einen Platten hast, und der dir sagen kann, wo du die billigsten Hotdogs für die Grillparty bekommst.
Cardinal stellte ihn Delorme vor.
»Ihre Kugeln sind extrem zerquetscht«, sagte Venn. »Erwarten Sie also nicht zu viel.«
»Ich erwarte gar nichts«, erwiderte Delorme. »Außer, dass Sie Ihr Bestes tun. Ich höre nur Gutes über Sie.«
»Tatsächlich? Bestimmt nur Artigkeiten«, sagte Venn. Er war über sein Vergleichsmikroskop gebeugt und stellte die Schärfe ein. »Alle sind immer so nett. Was sollen sie auch sagen? ›Und das ist Cornelius Venn, der schlechteste Schusswaffenspezialist, den wir haben‹?«
Delorme fragte sich, was Venn in seiner Freizeit machte. Irgendwas mit Maschinen, sagte ihr ein Gefühl, eher nicht mit Menschen.
Sie sah Cardinal an, doch der verdrehte nur die Augen.
»Ehem.« Venn hüstelte, wie es sich geziemte, in ein Taschentuch, als hätte er Tuberkulose. »Wir haben hier zwei Zweiunddreißiger-Kugeln. Eine ist bis zur Unkenntlichkeit zerdrückt und zu absolut nichts mehr zu gebrauchen.« Sein Ton legte nahe, sie hätten es sich eigentlich sparen können, ihn mit derart minderwertigem Material zu behelligen, auch wenn sie selbiges in einer Leiche transportiert hatten.
»Die zweite ist nur teilweise zerstört, und ich bin gerade dabei zu sehen, ob ich aus der was Brauchbares rausbekomme.« Mit Hilfe eines Knopfs drehte er die Kugel unter seiner Linse. »Ja, mit der kann ich wenigstens
etwas
anfangen. Ich reduziere die Vergrößerung ein bisschen, damit das unbrauchbare Material nicht so stört. Ich gebe Ihnen dann noch einen Ausdruck in einer Form, die Sie verstehen können.«
Als ob es um Astrophysik ginge oder so, dachte Delorme. Der Typ denkt, er arbeitet für die NASA.
Venn sprach in sein Mikroskop, so dass seine Stimme blechern klang. »Sechs Züge, Linksdrall.«
»Haben Sie genug von der Kugel, um die Züge zu messen?«, fragte Delorme.
»Ihre Ungeduld trägt nichts dazu bei, meine Arbeit zu beschleunigen, Detective.«
»Ich habe nur eine Frage gestellt, Mr. Venn.«
Er sah zu ihr auf, so dass sich das Licht aus dem Mikroskop in seinen beiden Brillengläsern spiegelte. »Es war eine Frage, die darauf zielte, mich in die Defensive zu treiben.«
»Eigentlich war es eine Bitte um Information.«
»Ja, allerdings. Womit Sie andeuten, ich sei nicht intelligent genug zu begreifen, dass Sie wegen Informationen hergekommen sind.«
Delorme warf ihrem Kollegen einen Blick zu, doch Cardinal war von keinerlei Hilfe.
Venn kehrte zu seinem Mikroskop zurück. »Ich krieg ein Feld-Zug-Verhältnis von eins zu eins plus. Züge sind null Komma sechsundfünfzig; Felder null Komma sechzig.«
Nichts in seinem Verhalten ließ erkennen, dass ihm an diesen Werten etwas bekannt vorkam.
»Colt ›Police Positive‹, richtig?«, sagte Cardinal. Venn drehte sich auf seinem Stuhl um, als sähe er Cardinal zum ersten Mal. »Eine von mehreren Möglichkeiten.«
»Also, wie wär’s, wenn wir es auf den Punkt bringen und diese hier einfach mit der Kugel vergleichen würden, die wir letzte Woche Mrs. X aus dem Gehirn geholt haben? Könnten Sie das wohl machen?«
»Haben Sie die Fallnummer dabei?«
Cardinal öffnete seine Aktentasche und zog ein Formular heraus. Er las die Nummer vor, und Venn ging zu dem Schrank mit den
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