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Kalter Mond

Kalter Mond

Titel: Kalter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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Boden und war immer noch dort, als sie wenig später zu Bewusstsein kam und die besorgten Gesichter ihrer Eltern über sich sah. Ein Anflug von Anämie, hatte der Arzt festgestellt.
    Ihr Schlafzimmer war viel größer, als sie es in Erinnerung hatte. Sicher, damals war es mit Bett und Kommode und Schreibtisch vollgestopft gewesen, mit Kleidern und CDs, mit Computer und Skateboard sowie einem riesigen Stofftiger, den ihr Vater ihr, als sie krank war, mitgebracht hatte. Jetzt war es nur ein leerer Raum mit einem billigen Fenster und tiefen Furchen in den Dielenbrettern. Sie hob eine Ecke der Jalousie an und sah hinaus. Es hatte Jahre gegeben, in denen die Schneewehen sich bis zu den Scheiben aufgetürmt hatten. Im Garten hinter dem Haus war eine Schaukel, die es damals noch nicht gegeben hatte, diese Art mit schwarzen Gurten, die eher an ein Folterinstrument erinnerte.
    Sie ließ die Jalousie fallen. Eine Staubwolke wirbelte auf, so dass sie niesen musste.
    Unten im Keller fand sie auf Anhieb den Haupthahn und das Absperrventil. Sie war ungefähr zwölf gewesen, als ein Rohr brach und ihr Vater den Hahn abdrehen musste. Sie hatte in Gummistiefeln unten an seiner Seite gestanden, der kleine Wildfang, der Daddy hilft, während Kevin, fünf Jahre jünger als sie, einen Spielzeugzerstörer auf dem Wasser im Keller schwimmen ließ und dazu Geräusche machte, als wenn Bomben detonierten. Oben drehte sie den Kaltwasserhahn auf. Er keuchte und schepperte, bevor das Wasser abstoßend braun in den Spülstein spritzte. Sie setzte sich auf den Boden und ließ es laufen.
    Ein Gutes hatte es auf jeden Fall, in dieses verlassene Haus mit seiner nostalgischen Sogkraft zu kommen: Es lenkte sie – zumindest für ein paar Minuten – von den jüngeren Erinnerungen ab, die wie Filmvorspänne unablässig durch ihre Gedanken geisterten.
    Vorspann Nummer eins: die Sonne prall über dem Lager, so stark, dass Terri glaubt, ihr würde schlecht. Sie schlendert den Kiesstrand entlang, über die mutmaßliche Grenze des Lagergeländes hinaus. Doch als sie auf dem Rückweg eine Abkürzung durch den Wald nimmt, umschwärmen sie die Kriebelmücken, und sie stößt auf noch eine Hütte. Sie ist kleiner als die anderen, und jemand hat das einzige Fenster darin mit Brettern vernagelt. An der Eingangstür blitzt ein schweres Vorhängeschloss aus Messing. Ein grässlicher Geruch hängt in der Luft, und sie schwenkt zum See zurück.
    Vorspann Nummer zwei: Sie und Kevin sind zusammen in der Stadt. Es ist der einzige Tag, an dem sie Spaß miteinander haben, die Main Street, dann das Ufer entlangspazieren. Sie bleiben eine Weile am Kai und gehen zum Bauernmarkt. Es ist ein Tag so strahlend wie ein Diamant, hell und ungetrübt, und Kevin ist ganz der Alte – witzig und spitzbübisch, der nicht süchtige Kevin, mit dem sie aufgewachsen ist. Erkutschiert sie in seinem alten, ramponierten Nissan herum, den er als Auto zu bezeichnen wagt, und sie machen eine Spritztour am See entlang und wieder auf den Highway zurück. Doch das unbeschwerte Glück weicht den Panzer auf, den Terri sich zugelegt hat, um mit Kevins Drogenproblemen fertig zu werden. Sie kann nicht länger schweigen.
    »Wieso hauen wir nicht einfach ab?«, sagt sie. »Wieso kommst du nicht einfach mit nach Vancouver? Du sagst, dir geht’s gut, aber ich sag dir auf den Kopf zu, das tut es nicht.«
    »Ach Terri, fang nicht wieder davon an«, sagt Kevin und sieht sie mit diesem verletzten Kleine-Jungen-Gesicht an. »Wir hatten doch gerade so viel Spaß.«
    »Ich weiß, und ich möchte, dass du weiter Spaß hast, Kevin. Ich möchte nicht eines Morgens aufwachen und zur Beerdigung meines kleinen Bruders gehen müssen.«
    »Terri, lass das, ich bin kein kleiner Junge mehr, ja? Mir ist klar, dass du, als Mom und Dad gestorben sind, dich sozusagen um mich gekümmert hast. Als wir in eine neue Familie, eine neue Stadt ziehen mussten, warst du wirklich toll. Aber ich bin kein Kind mehr, Terri.«
    »Du bist immer noch mein Bruder. Ich mach mir immer noch Sorgen um dich, auch wenn du es nicht tust.«
    »Terri, ich nehm nicht allzu viel von dem Zeug.«
    »Du hast keinen Job, also gehe ich davon aus, dass du dealst, um an den Stoff zu kommen. Denk dran, was passiert, wenn sie dich schnappen. Weißt du, wie viele Jahre sie dir diesmal aufbrummen?«
    »Ich will nur so lange dabeibleiben, bis ich genug Geld für ein paar Jahre zusammenhabe. Dann werde ich für immer clean und geh irgendwohin – Griechenland oder was

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