Kalter Schlaf - Roman
überlegte, welche Gründe es für diese Entscheidung gegeben haben mochte: vermutlich finanzielle Erwägungen, aber auch das Auftreten neuer Ermittlungsfälle, die wichtiger waren.
Joe zeigte auf einige der vergilbten Zeitungsausschnitte auf dem Tisch. »Molly war achtzehn Jahre alt, einen Meter siebzig groß, mittelblond, langhaarig. Am Tag ihres Verschwindens hat sie ein hellblaues Polohemd, beige Slacks, braune Wildleder-Mokassins und ihre goldene Halskette getragen. Außerdem hatte sie einen dunkelblauen Rucksack mit weißer Paspelierung und dem Ellesse-Logo dabei. Die Birmingham Post und einige überregionale Zeitungen, darunter die London Times, schildern sie als coole, lebenstüchtige junge Frau. Bestimmt nicht der Typ, der ohne Weiteres mit einem Unbekannten mitgehen würde. Nach übereinstimmender Meinung aller, die sie kannten, war sie verantwortungsbewusst. Vernünftig.«
Julian hob ruckartig den Kopf. »Wieso auch nicht? Sie war achtzehn, Mann.«
»Sie sollen zuhören und lernen, junger Mann«, schnaubte Bernie. »Ich habe eine Tochter, die älter ist als Sie.«
»Du hast Anzüge, die älter sind als er, mein Freund«, murmelte Joe, während er begutachtete, was er bisher aufgeschrieben hatte.
»Ich will damit nur sagen, dass die meisten vernünftig wirken, aber tatsächlich völlig durchgeknallt sind.« Bernie sprach undeutlich, weil er einen Kugelschreiber als Zigarettenersatz benutzte.
Kate verdrehte leise seufzend die Augen. »Okay, lassen wir das mal dahingestellt. Wissen wir, wer aus der Rose Road an den damaligen Ermittlungen beteiligt war?«
»Mal sehen …« Bernie blätterte in seinen Unterlagen. Kate wartete geduldig, während er die Informationen überflog, wobei er schweigend die Lippen bewegte. Dann sagte er schließlich: »Wir sind früh hinzugezogen worden … anscheinend schon nach ein paar Wochen. Ich erinnere mich, dass die örtliche Polizei bald ratlos war und dringend um Unterstützung gebeten hat.« Er blätterte weiter. »Hier stehen sechs Namen aus der oberen Etage … von denen ist keiner mehr da … die Kollegen in der Bradford Street haben mit Spusi-Leuten ausgeholfen.« Er sah auf. »Die Rose Road hatte damals noch keine eigene forensische Abteilung. Mal sehen, wer die Ermittlungen von unserer Seite aus geleitet hat. Oh, das wird euch gefallen! Zuständig war der Arsch – damals erst Sergeant – Roger Furman.«
Julian saß mit aufgestützten Ellbogen da und studierte die Zeitungsausschnitte. Kate sah von ihm zu den beiden Kriminalbeamten hinüber.
»Wie wird er auf unsere Wiederaufnahme der Ermittlungen reagieren, wenn man bedenkt, dass das mal sein Fall war?« Während sie das fragte, empfand sie fast körperlichen Widerwillen gegen Furman, der seit damals zum Inspector aufgestiegen war. Joes Antwort bestand aus einem leichten Schulterzucken, weil er Furman kaum länger oder besser als sie kannte.
Bernie trat mit schweren Schritten an die Glastafel und sagte über die Schulter: »Ich kenne den Arsch jetzt seit vielen Jahren, Doc. Er billigt oder fördert nichts, was nicht in seinem eigenen Interesse liegt. Aber eines kann ich euch schon jetzt versprechen: Weil er die ursprünglichen Ermittlungen geleitet hat, wird er sich in alles einmischen, was wir tun.«
Er überflog die aufgeschriebenen Informationen, fand sie anscheinend unzulänglich. »Dieses Mädchen …«
»Molly«, warf Kate ein.
»Ja. Sie verlässt ihr Elternhaus, geht ungefähr eine Meile weit zu dem Einkaufszentrum und – zack! – ist sie weg. Wir müssen die Namen der Verdächtigen finden, die damals ins Visier der Ermittler geraten sind.« Er deutete auf die Papiere auf dem Tisch. »Die sind irgendwo aufgeführt. Und wir stellen sie zu einer Liste zusammen.« Er wandte sich wieder der Glastafel zu, schrieb Mollys Namen auf, setzte Verdächtige darunter und unterstrich dieses Wort doppelt.
Binnen zehn Minuten hatten sie fünf Namen.
Kate beobachtete, wie Bernie den letzten Namen an die Tafel schrieb, dann zeigte sie auf den ersten. »John Cranham – diesen Namen habe ich irgendwo gehört. Wieso? In welchem Zusammenhang?«, fragte sie.
»Das wüsstest du, wenn du einen Mercedes hättest. Ein reicher Scheißkerl – so hab ich ihn von damals in Erinnerung. Seiner Familie gehört eine der größten britischen Mercedes-Vertretungen. In Solihull. Er würde mich als Verdächtiger interessieren, aber laut eigener Aussage, die ich gerade gelesen habe, war er im Ausland, als Molly verschwunden
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