Kalter Schlaf - Roman
Schock. Sie richtete sich auf und stieß dabei ihren Teebecher um. »Nein! Mit welcher Begründung? Mit welchen Beweisen?«
Bernie zählte die Punkte an den Fingern ab. »Seine Vorstrafen, seine Verbindung zu Molly …«
»Aber das reicht nicht!«, fauchte sie und machte sich daran, die Tischplatte mit Papiertaschentüchern trocken zu tupfen.
»Nicht aufregen, Doc. Sein Alibi hat sich in Luft aufgelöst. Seine Mutter sagt, dass sie ihn nie gesehen hat. Also muss er seinen ›Schraubenzieher‹ irgendwo anders als in ihrem Haus benutzt haben. Ich will’s mal so sagen: Wenn etwas watschelt und quakt wie ’ne Ente …«
Julian schaute mit großen Augen zu, wie Kate mit der flachen Hand auf den Tisch schlug. »Mit diesem Thema sind wir längst fertig! Okay, ja, er ist manchmal gewalttätig gewesen. Aber er ist keineswegs ein Frauenhasser.«
»Nein, hör mir mal zu, Doc. Es gibt noch etwas anderes, das du nicht weißt. Die Oberen haben mit der jungen Frau gesprochen, die er vergewaltigt hat. Jetzt ist sie natürlich älter. Sie hat erzählt, dass er ›echt nett‹ war, dass sie ihm vertraut hat, als er angeboten hat, sie heimzufahren. Sie sagt, dass sie keinen Augenblick lang geglaubt hat, er lüge oder wolle tun, was er dann getan hat. Das liegt auf der Hand, weil sie sonst nicht mitgegangen wäre, stimmt’s?«
Schweigen.
Bernie fuhr fort: »So. Das ist die Fähigkeit, Frauen für sich einzunehmen, von der du immer redest. Er hat sich ihr so präsentiert, dass sie sich sicher fühlte.« Er sah Kate an, dann klopfte er mit einem Zeigefinger auf den Tisch. »Reingelegt, Doc.«
»Das ist kein Charme«, wehrte sie verächtlich ab. »Nicht in dem Sinn, den ich meine. Sie war damals erst sechzehn Jahre alt und hatte nicht genügend Erfahrung mit Männern, um ihn zu durchschauen.«
»Molly James war älter. Vielleicht hat er’s geschafft, den Märchenprinzen zu spielen, als er bei ihrer Mutter gearbeitet hat. Der Boss! Prestige, verstehst du? Hätten wir ihn eher zum Verdächtigen hochgestuft, wie ich wollte, hätten wir eine Verhaftung erreichen können, die nur das Verdienst der KUF gewesen wäre.«
»Er war’s nicht!«
»Das weißt du nicht.«
Kate starrte Bernie wütend an, als sie aufstand. »Das ist alles falsch. Es ist ein Irrtum. Jeder kennt Fälle, in denen die Polizei so scharf auf einen Verdächtigen ist, dass sie Entlastungsbeweise ignoriert, sodass schließlich der Falsche hinter Gittern landet.«
Bernies buschige Augenbrauen stießen zusammen. »Ach, tatsächlich? Und die Gefängnisse sind voll von unschuldigen Leuten! Sieh dir doch an, was wir haben. Erstens: Er hat bei ihrer Mutter gearbeitet, als Molly verschwunden ist. Zweitens: Er ist wegen Vergewaltigung vorbestraft. Drittens: Er hat eine Vorstrafe, weil er die eigene Ehefrau misshandelt hat. Viertens: Er ist ausgesprochen cholerisch. Fünftens: Er hat kein Alibi für die Nacht, in der Jody Westbrooke entführt worden ist. Das sind Tatsachen!«
»Die aber nicht genügen, um ihn mit den Morden an Molly, Janine oder Suzie in Verbindung zu bringen. Wo war er, wenn er nicht bei seiner Mutter war?«, wollte Kate wissen.
»Das will er nicht sagen, was erst recht verdächtig ist. Hör zu, Doc, ich erzähle dir nichts über Psychologie. Die ist dein Fachgebiet. Meines dagegen ist Ermittlungsarbeit, richtig? Und …«
»Wo ist die Verbindung zu den vier Opfern? Ich hab dir gesagt, dass Malins nicht alle Frauen hasst. Denk an das Gewebeband und das sonstige Verhalten des Täters. Für sadistische Neigungen Malins’ gibt es keinerlei Beweise.«
»Er hat eine Sechzehnjährige vergewaltigt!«
»Bernie, du weißt, dass das nicht der Definition von sadistischem Verhalten …«
Bernie, der rot angelaufen war, schnaubte wütend. »Jetzt geht’s los! Wieder durch den Theoriedschungel. Definitionen und verdrehte Experimente in verdammten Elfenbeintürmen und von Dr. Allwissend in gelehrten Journalen veröffentlichte Arbeiten, alle mit Fußnoten und Grafiken – Abb. eins, Abb. zwei –, ja? Die kenne ich. Das Zeug, das du dort drüben hast und das er« – Bernies dicker Zeigefinger schien Julian, der sie irritiert anstarrte, durchbohren zu wollen – »hier anschleppt, um stundenlang die Nase reinzustecken. Glaubt bloß nicht, dass wir nichts können, nur weil wir anders reden als ihr …«
»Was?« Kate runzelte die Stirn. »Sei kein Idiot.« Sie funkelte ihn an, dann schüttelte sie langsam den Kopf. »Bernie, du bist ein unglaublicher sozialer
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