Kalter Schlaf - Roman
beschäftigt, die Ermittlungsberichte und Aufzeichnungen der KUF zusammenzustellen, wie Furman es bei seinem letzten Besuch verlangt hatte. Diesen Besuch hatte Kate zum Glück versäumt.
In einer dünnen weißen Bluse und einer dunkelgrauen Leinenhose kühl wirkend, sah sie ernst von Bernie zu Joe hinüber. Die beiden Männer saßen in kurzärmeligen Hemden mit dem Rücken zum Fenster, durch das bereits vormittägliche Hitze eindrang.
»Was Molly und Janine und vielleicht der noch nicht identifizierten dritten jungen Frau zugestoßen ist, hat ihn Zeit und Mühe gekostet und möglicherweise der Gefahr ausgesetzt, entdeckt und verhaftet zu werden. Das lässt vermuten, dass er das dringende Bedürfnis hatte, diese Dinge zu tun. Für ihn war das alles ein fantastisches Erlebnis. Buchstäblich. Er hatte es schon oft durchgespielt. Im Kopf. Dies war eindeutig kein enttäuschter oder eifersüchtiger Freund.«
Sie sah Bernie an, der auf einem Kugelschreiber herumkaute, und war frustriert wegen ihrer anscheinend zwecklosen Bemühungen, die psychologische Zwanghaftigkeit des Täters zu schildern. Bernie registrierte ihren Blick und hörte zu kauen auf.
»Was? Okay, Hanson. Bitte weiter! Ich weiß, dass wir’s mit unpersönlichen Motiven zu tun haben – dieses instrumentelle Zeug, von dem du schon geredet hast. Ich bin schließlich nicht blöd.«
Am Computer sitzend kicherte Julian.
Bernie drehte sich um und funkelte ihn an. »Ist das Kaffeewasser schon aufgesetzt? Vor ’ner halben Stunde wollten Sie es in zehn Minuten machen. Aber bisher hocken Sie bloß da und tippen lustlos.«
Julian verließ, etwas vor sich hin murmelnd, seinen Arbeitsplatz. Er nahm Stift und Notizbuch mit und hörte weiter zu, während das Wasser allmählich kochte.
Kate fuhr fort: »Auch wenn sein Motiv unpersönlich war, ist jedes Opfer aufgrund bestimmter körperlicher Eigenschaften ausgewählt worden. Nur der Täter weiß, weshalb sie relevant waren.«
Sie stand auf, durchquerte den Raum und drehte sich zu ihren Kollegen um, als sie die Glastafel erreicht hatte.
»Er scheint die Gesichter zweier seiner Opfer unkenntlich gemacht zu haben, und ich gestehe, dass ich mir die Bedeutung, den Zweck dieser Handlung, noch nicht ganz erklären kann.« Sie nahm geistesabwesend die Schildpattspange aus ihrem Haar, steckte sie ein und fuhr sich mit einer Hand durch die schwere rotbraune Mähne.
Julian ging mit Kaffeebechern herum und brachte einen davon Kate. »Ist es denkbar, dass der Täter seine Tat verübt und sich dann wieder beruhigt und die Opfer betrachtet und nachträglich … Reue empfunden hat?« Er setzte sich an den Tisch und stützte das Kinn auf die Arme.
Kate hörte zu, wie Julian seine Theorie weiter ausführte.
»Aber dieser Ablauf passt nicht, stimmt’s, Kate? Weil er sich den Opfern auf keiner Ebene emotional verbunden fühlt. Weshalb sollte er also Reue empfinden?« Er sah zu ihr auf. »Das täte er nie. Hab ich recht?«
Kate lächelte ihm zu. »Richtig, Julian«, sagte sie aufmunternd. »Sie haben Ihre Theorie hinterfragt, um sie am Ende selbst zu widerlegen.«
Sie sah zu Bernie und Joe hinüber. »Das Gesicht eines Opfers zu bedecken, das ist die typische Handlung eines Mörders, der sich selbst schützen will. Vor den Gefühlen der Toten. Ihrem Zorn, ihrer Verzweiflung, ihren Schmerzen. Er schützt sich auch vor den eigenen Schamgefühlen, vor Schuldbewusstsein, Bedauern und sogar Reue. Er bedeckt ihr Gesicht, weil er nicht wahrhaben will, was er ihr angetan hat. Dass er Scham und Reue empfindet, liegt an der emotionalen Bindung, die zwischen ihnen bestanden hat.«
Sie trat an die Glastafel, schrieb zwei Wörter, die sie unterstrich, und drehte sich wieder zu ihren Kollegen um. »Und genau das ist das Problem. Weil der Täter meiner Überzeugung nach ein instrumentaler Psychopath ist.« Sie begann, zwischen Tisch und Tafel hin und her zu gehen.
»Auf das Opfer fixierte Gefühle wie Scham und Reue kennt er nicht. Was unser Täter empfindet, ist ungeheure Wut auf eine Person, die er durch sein Verhalten auf die jeweiligen Opfer überträgt. Ihm geht es nicht um die junge Frau, die er real vor sich hat. Sie bedeutet ihm nichts.«
Ihr fiel ein Ausdruck ein, den sie erst vor Kurzem gehört hatte: für mich irrelevant.
Kate sank auf den nächsten Stuhl, streifte ihre Pumps ab und bewegte die Zehen. »Was sie empfindet, ist ihm egal. Er will ihre Angst sehen. Er muss ihre Schmerzen sehen. Weil sie für irgendwelche
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