Kalter Schlaf - Roman
Situationen, Schmähungen, Verletzungen und was sonst noch büßt, die ihm diese eine Person, auf die er so ungeheuer zornig ist, zugefügt hat. Für das alles dient jedes seiner Opfer lediglich als Werkzeug.«
Joe beobachtete sie, hörte aufmerksam zu. »Warum bedeckt er also ihre Gesichter?«, fragte er ruhig.
Kate war noch einmal unten bei Connie gewesen, um sich diese Gesichtsbedeckungen genauer anzusehen. Aber auch beim zweiten Besuch hatte sie nur die gleichen Verfärbungen gesehen: graue Stellen und grünlich gelbe bis braune Verwesungsflecken.
Sie schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht, Joe.«
Bernie nahm einen Schluck Kaffee. »Gibt es unter den Kerlen, die wir bisher befragt haben, deiner Ansicht nach einen, den wir als verdächtig einstufen sollten?«, fragte er.
»Bestimmt nicht Colley. Der Mörder dieser jungen Frauen versteht es, sie zu bezaubern, und er hat die Opfer dann absolut in seiner Gewalt. Colley macht sich nur an höchstens zehnjährige Mädchen heran.« Kate sah von einem ihrer Kollegen zum anderen. »Unser Täter ist ein Meister. Aus seinen Taten, soweit wir sie kennen, spricht eine Art Professionalität. Er hat Übung. Er kann planen. Er besitzt die für die Ausführung seines Plans notwendigen Fähigkeiten und ist als Person attraktiv genug, um intelligente, selbstbewusste junge Frauen zu betören und die von ihm geplanten Situationen zu beherrschen.«
»Wie wär’s damit, dass er sich nur an sie rangemacht hat, weil sie jung sind? Ohne das ganze übrige Brimborium?«
Kate nickte. »Im Prinzip hast du recht, Bernie. Wiederholungstäter suchen sich oft Opfer wie junge Frauen oder Teenager aus, weil sie leichter beherrschbar sind. Aber in unseren Fällen sind die Opfer wegen ihres Aussehens auf eine Weise, die nur er versteht, etwas Besonderes für ihn. Vielleicht haben sie etwas an sich, das ihn … an jemand anderen erinnert?«
Sie bedeckte ihr Gesicht kurz mit den Händen, als könne sie den Fall dadurch ausblenden, und ließ sie dann wieder sinken. »Er ist ein sehr selbstbewusster Mörder. Das hat er durch seine Fähigkeit bewiesen, groß gewachsene, gesunde junge Frauen für sich einzunehmen und körperlich zu unterwerfen.«
Joe sah zu Bernie, dann wieder zu Kate hinüber. »Vielleicht ist er groß. Gut gebaut. Muskulös. Vielleicht jemand, der ins Fitness-Studio geht? Ein Bodybuilder?«
»Erinnert ihr euch an Malins, mit dem ich gesprochen habe? Er sieht wie ein ehemaliger Gewichtheber aus«, antwortete Bernie.
Kate zuckte mit den Schultern. »Möglich, aber er könnte auch ein Durchschnittsmann sein. Muskelpakete sind nicht unbedingt erforderlich. Die meisten Männer wären imstande, die meisten Frauen körperlich zu unterwerfen – einfach weil sie kräftiger sind. Unter bestimmten Umständen wäre ich gut beraten, euch drei als Einzelpersonen zu fürchten, während ihr vermutlich nie Angst vor mir hättet.«
Bernie zog die Augenbrauen hoch. »Ja? Weißt du das sicher?«
Er warf seinen Kugelschreiber auf den Tisch und massierte sich den linken Unterarm – ein sicheres Zeichen dafür, wie sehr frustriert er war. »Was ich wirklich von dir hören möchte, ist eine Schilderung, wie dieser Täter als Person ist – in seinem normalen Leben, meine ich, falls er eines hat. Du hast ›Psychopath‹ gesagt, und seither steht mir der Kerl in diesem Film vor Augen. Ich meine den, in dem die FBI -Agentin ihn in seiner Zelle aufsucht, woraufhin er über Bohnen und Wein und solches Zeug redet.«
Kate setzte sich wieder auf die Tischkante und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. »Okay. Unser Täter besitzt eine asoziale Persönlichkeit. Aber er ist kein Soziopath à la Hannibal Lecter. Es wird uns nicht gelingen, ihn durch sichtbare Charakteristika – wie eine Vorliebe für enge Kleidung, gegeltes Haar und einen gehobenen Lebensstil – zu enttarnen.« Sie hörte Bernie murren, als sie fortfuhr: »Alle Wege führen zu seinem Verhalten zurück. Zu seiner Fähigkeit, sich überall anzupassen. Durchschnittlich zu erscheinen. Nur damit können wir arbeiten.«
Sie überlegte einige Sekunden, dann stand sie auf und trat einen halben Schritt vom Tisch zurück.
»Okay, Bernie, ich will versuchen, dir den Täter als Person zu beschreiben. Er operiert im Schutz seines selbst geschaffenen Tarnmantels als ›Mr. Normal‹. Aber dank psychologischer Theorie können wir eine Aussage über seine eigentliche Persönlichkeit treffen.« Bernie seufzte ungeduldig, während Kate überlegte,
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