Kalter Schmerz
schnell blaue Flecken bekommen. »Er arbeitet viel, kommt meistens erst spätabends zurück.«
»Wissen Sie, was er beruflich macht?«, fragte ich und überlegte, womit Sara Garwoods Mann sein Geld verdiente: vielleicht als Broker oder Anwalt oder etwas ähnlich Gefühlloses. Ich vermutete, sie hätte mich nicht ins Haus gelassen, wenn ihr Mann zu Hause gewesen wäre, nicht ohne seine Erlaubnis.
»Nein. Er trägt einen Anzug, das ist alles, was ich darüber weiß«, sagte sie, ohne zu lächeln. »Ich habe aber das mit seiner Tochter gehört. Ich bin drüben gewesen, aber nicht lange geblieben. Ich nehme an, das ist Ihr Fall?«
»Ähm … wie bitte?«
»Ich erkenne Sie wieder, von dem Abend. Als ich aus dem Fenster sah, fuhren Sie gerade mit ihr los. Ich nehme an, das ist Ihr Fall?«
Ich ärgerte mich, nicht besser auf die Frage reagiert zu haben. »Ja … ja, das stimmt.«
»Aha.«
Ihr Gesichtsausdruck erinnerte mich an Mark. Ich konnte das Gefühl nicht loswerden, dass sie meine Lügen durchschaute.
»Haben Sie selbst Kinder?«, fragte ich.
»Drei hatte ich.«
Ich war überrascht, es kam mir nicht vor wie ein Haus voller Kinder. »Ach, ja? Gehen die jetzt zur Uni?«
»Hatte«, wiederholte sie.
Ich schielte zu den Fotos hinüber.
Sie senkte den Blick auf ihre Hände.
Wohin ich auch ging, überall tote Kinder.
»Das tut mir leid«, sagte ich und fühlte mich krank.
»Mrs Dyer war unglaublich nett, als es passierte … der Autounfall.« Sie betrachtete die Lilien. »Der dritte, tja, der ist schon vorher … Sie war wirklich nett, als es passierte. Bot mir an, ich könne rüberkommen, wenn ich darüber reden wollte, aber das habe ich nie gemacht.«
»Reden hilft nicht richtig, oder?«, sagte ich.
»Manchmal höre ich Geschrei von drüben. Eine Zeitlang geht’s ohne Streiterei, und dann hören wir wieder was.«
»Wissen Sie, worüber sie streiten?«
»Nein, aber einmal kam ein Krankenwagen vorgefahren.« Sie schaute durch das Fenster, als stände er jetzt auf der Straße. »Sie hatte sich einen Arm gebrochen. Als ich sie fragte, ob sie Hilfe bräuchte, sagte sie, sie sei gefallen, aber … Vielleicht ist es nichts. Ich schätze, heute würde keiner mehr einer Frau glauben, wenn sie wirklich die Treppe runtergefallen wäre.«
»Glauben Sie, das passiert öfter?«
»Einen Krankenwagen habe ich nur einmal gesehen, aber blaue Flecken hat sie öfter. Das ist einer der Gründe, warum ich nicht viel mit ihm rede.«
Ich folgte ihrem Blick zur Auffahrt nebenan.
»Was genau ermitteln Sie eigentlich?«, fragte sie. »Den Mord?«
»Ähm, den und eine Ruhestörung. Das war schon alles, was ich wissen wollte.«
»Ich weiß, dass Sie nicht von der Polizei sind.«
Ich stellte meinen Tee ab und sah ihr in die Augen. Plötzlich hatte ich das Gefühl, es gebe viele Möglichkeiten, wie das hierausgehen könne, aber keine einzige gute. Dennoch blieb ich reglos, blinzelte nicht einmal. Wie es weitergehen würde, lag ganz allein bei ihr.
»Mein Vater war DCI «, sagte sie. »Sie nicht. Das ist gar kein richtiger Ausweis.«
Ich schaute ihr in die Augen, aber sie wich meinem Blick nicht aus.
»Sie … haben mich reingelassen«, sagte ich, unsicher, ob es eine Frage oder eine Feststellung sein sollte.
»Ich rede mit Geistern. Meinen Sie, es interessiert mich, wer Sie sind?«
Ich schaute auf ihre kühle Fassade und in ihre großen Augen. Dahinter konnte ich die Trauer und Einsamkeit sehen, das Blut, das ihr an den Schenkeln hinablief, auf den weißen Teppich.
Ich musste nicht gehen, das wusste ich.
Mit übergeschlagenen Beinen beobachtete sie mich, ihr Gesichtsausdruck gleichzeitig erwartungsvoll und gleichgültig.
Ich stand auf, und im ersten Augenblick wusste ich gar nicht, warum.
Sie rührte sich immer noch nicht.
»Ich muss gehen«, sagte ich.
»Gut.«
»Danke für Ihre Hilfe.« Ich schaute sie an, und sie nickte.
Dann stand sie doch auf und öffnete mir die Haustür. Aus der Nähe wirkten ihre Augen noch größer, zu groß für ihr Gesicht.
»Tschüss, Terracciano.«
Mehr sagte sie nicht, bevor sie die Tür hinter mir schloss.
Ich blieb eine Weile auf der Schwelle stehen, hatte einen schmerzenden Ständer und dachte an tote Kinder, an Unfälle und Fehlgeburten und Mütter, die mit Geistern redeten.
Ich ging den Pfad entlang und versuchte, von meinem Auto aus Brinks zu erreichen. Ich traute mich nicht, sofort zur Nachbartür zu gehen und ihr gegenüberzustehen.
Keine Antwort.
Ich versuchte es
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