Kalter Süden
ausdruckslos an. Das einzige Licht in dem engen Raum kam von einem kleinen Fenster neben der Tür.
Carita begann, auf einen der Männer einzureden, der sogar hier drinnen seine Schirmmütze aufhatte und einen großen Schlüsselbund am Gürtel trug. Annika hörte, dass mehrmals der Name Manolo Zarco Martinez fiel, offenbar hieß er hier nicht Jocke, sondern Manolo. Carita zog ihren Pass aus der Tasche. Der Mann mit der Mütze wedelte energisch mit beiden Händen und wurde laut. Carita zuckte mit den Schultern.
»Die Erlaubnis gilt nur für zwei Besucher«, übersetzte sie. »Nicht drei.«
Annika legte ihren Pass auf den Schreibtisch und sah Lotta an.
»Ich finde so was total unangenehm«, sagte die Fotografin. »Es ist wirklich nicht meine Art, mich Leuten aufzudrängen, die sich nicht wehren können. Ich warte draußen.«
Annika zögerte, dann nickte sie. Sie würden es ohnehin nicht schaffen, eine Kamera durch den Metalldetektor zu schmuggeln, und selbst wenn, dürften sie den Mann auf dem Foto nicht zeigen. Er hatte sich zu dem Interview nur unter der Bedingung bereit erklärt, dass er anonym blieb. Das Beste wäre ein Silhouettenfoto aus dem Inneren der Zelle gewesen, falls sie ein Fenster hatte, oder eine Aufnahme des Dealers von hinten, mit dem Gesicht zur Wand.
»Okay«, sagte Annika leise. »Dann mach in der Zwischenzeit ein paar Aufnahmen vom Knastgelände, irgendwas, was richtig schlimm aussieht, das funktioniert genauso gut. Denk dir als Schlagzeile ›Hier ist der Schwede eingesperrt‹ oder so was in der Art …«
Lotta stemmte die Hände in die Seiten.
»Zufällig bin ich hier die Fotografin«, sagte sie. »Und es hängt von einer Menge Faktoren ab, ob es ein gutes Foto wird.«
»Klar«, sagte Annika. »Natürlich.«
»Du musst dich noch eintragen«, sagte Carita und stellte ihre Leopardenhandtasche auf den Tresen. Annika trat vor, packte ihre ausgebeulte Schultertasche daneben und setzte ihren Namen auf ein Papier, ohne es durchzulesen.
»Ich möchte diesen Stift mitnehmen«, sagte sie. »Und einen Block auch.«
Carita schüttelte den Kopf.
»Du darfst überhaupt nichts mit reinnehmen«, sagte sie.
»Nicht mal, wenn es dem Gefängnis gehört? In Schweden darf man das.«
»Bienvenido a España« , sagte Carita und ging durch den Metallbogen.
Annikas Gürtel löste Alarm aus, also musste sie ihn abnehmen und neben die Taschen auf den Schreibtisch legen.
»Glaubst du, die durchsuchen unsere Sachen?«, fragte Annika und schielte zu den Taschen, als sie auf dem Weg zu den Zellen an der Rückseite des Schreibtisches vorbeigingen.
»Garantiert«, antwortete Carita und lächelte den Wachmann mit der Mütze an.
Sie traten durch eine schmale Tür. Dahinter erstreckte sich ein langer, tunnelähnlicher Gang, der noch dunkler war als der Empfangsraum. Eine einsame Neonröhre flimmerte schwach am Ende des Tunnels, und zu beiden Seiten befanden sich Eisentüren in derselben braunroten Farbe wie der Fußboden. Eine Klimaanlage klapperte und ächzte. Der Mann mit der Mütze streckte den Arm aus.
»Celda número seis . «
Carita übernahm die Führung und betrat den Gang. Der Boden war glatt, und sie hob eine Hand, um das Gleichgewicht zu hal-ten. Ihre Absätze hallten zögerlich, Annikas Sandalen schlappten und rutschten. Der Schlüsselbund des Wächters klirrte.
»Aquí . «
Er suchte umständlich den richtigen Schlüssel heraus und schloss die Zellentür an zwei verschiedenen Stellen auf, einmal in Schulter-, einmal in Taillenhöhe.
»Sesenta minutos« , sagte er und zog die Tür auf.
Sie hatten eine Stunde Zeit.
Die Zelle war fensterlos. Der Fußboden hatte dieselbe Farbe wie der im Korridor, aber die Wände waren dunkler, grauer. Annika starrte in den Raum und sah den Gefangenen zunächst gar nicht, der in seiner grauen Kleidung auf einer grauen Pritsche saß. Sie zuckte zusammen, als er sie aus der hinteren Ecke ansah.
»Guten Morgen«, sagte Carita, ging auf ihn zu und gab ihm die Hand. »Mein Name ist Carita, ich bin Dolmetscherin, aber soweit ich verstanden habe, sprechen Sie Schwedisch, oder?«
Johan Manolo Zarco Martinez erhob sich langsam und widerwillig. Er nahm Caritas Hand mit lustlosem Griff, sah dabei aber die ganze Zeit Annika an.
»Sind Sie die Reporterin?«, fragte er.
Er sprach wie viele Leute in den ausländerstarken Vororten Stockholms. Annika streckte ihm die rechte Hand hin. Er ergriff sie und blickte ihr skeptisch ins Gesicht.
»Mein Anwalt hat gesagt, dass Sie
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