Kalter Süden
Besonderes«, sagte sie. »Nur dass wir ihm helfen sollen, da rauszukommen.«
Carita lächelte und schüttelte bekümmert den Kopf.
»Der arme Junge«, sagte sie.
Das Lokal war dunkel und verqualmt. Das EU -weite Rauchverbot in Kneipen und Restaurants hatte in Spanien offenbar nicht die gleiche Durchschlagskraft wie im restlichen Europa, denn es wurde überall gepafft.
Sie fanden einen Tisch ziemlich weit hinten im Lokal. Carita bestellte einen café cortado , Lotta nahm ein Glas Wein, und Annika gestattete sich großzügig eine Cola.
»Man sollte sich den einheimischen Sitten anpassen, wenn man irgendwo hinkommt«, sagte Lotta. »Ich schätze die spanische Tradition, ein Glas Roten zum Mittagessen zu trinken. Das ist irgendwie gemütlich.«
»Schon okay«, sagte Annika und griff nach Block und Stift. »Ich kann fahren.«
Lotta zog die Augenbrauen hoch.
»Wieso? Wir sind doch in Spanien. Hier sieht man das nicht so eng wie in Schweden.«
Annika sah die Fotografin an.
»Wenn wir zu dritt im Auto sitzen, zwei nüchtern und eine angeduselt, wer sollte deiner Meinung nach dann fahren?«
Lotta schüttelte sich ärgerlich.
»Wie engstirnig«, sagte sie. »Du weißt doch selbst, dass man von einem Glas Wein noch nicht beduselt ist.«
Annika biss sich auf die Zunge.
Jetzt war sie fast so weit, sich doch noch mit dieser jungen Frau zu streiten, und das nicht mal wegen etwas Wichtigem, sondern lediglich als Ventil für ihren Frust.
Sie zwang sich zu einem Lächeln.
»Sicher«, sagte sie.
Dann beugte sie sich über das Papier und begann, ihren Artikel mit Stichworten, Zeichnungen und Pfeilen zu strukturieren. Sie skizzierte rasch die Zelle und den jungen Mann, beschrieb Geruch und Feuchtigkeit und Dunkelheit und schloss eine chronologische Darstellung seines Lebens an.
»Die Menschen hier scheinen eine ganz andere Authentizität zu besitzen als unten in Puerto Banús«, sagte Lotta. »Ich habe ein paar Frauen mit ihren Ziegen auf dem Weg zum Markt fotografiert, während ihr da drinnen wart. In ihren zerfurchten Gesichtern hat sich das Leben eingegraben.«
»Ja«, sagte Carita. »Die findet man nicht in Puerto Banús. Sie können es sich nicht leisten, dort zu wohnen.«
»Ich hatte eigentlich gar nicht damit gerechnet, etwas Genuines an der Costa del Sol vorzufinden«, sagte Lotta. »Da leben ja eigentlich nur Golfrentner und Steuerflüchtlinge. Deshalb ist es eine so angenehme Überraschung, hier in Málaga etwas Echtes zu entdecken. Daraus könnte man eine gute Ausstellung machen.«
»Arbeiten Sie schon lange beim Abendblatt ?«, fragte Carita.
Lotta lachte kurz.
»Ach, wissen Sie«, sagte sie, »die Boulevardpresse ist eigentlich gar nicht mein Metier. Ich bin im Grunde Künstlerin, aber von irgendwas muss man ja leben.«
Annika nahm ihre Cola und setzte sich an den Nebentisch, um nicht jedes Wort von dieser Unterhaltung mit anhören zu müssen. Sie notierte sich Stichworte zu Jocke Zarco Martinez’ Jugendsünden: Bande, Diebstahlwettbewerb, wer am meisten klaute, war der Coolste. Flohmarkt in Skärholmen, Bruder begann Hasch zu dealen, Jocke war noch vor Strafmündigkeit Drogenkurier.
»Es ist sehr teuer geworden, hier zu leben«, sagte Carita. »Und nicht nur die Immobilienpreise sind explodiert. Die Lebensmittelpreise sind ebenfalls gestiegen, die Restaurants sind teurer geworden. Normale Leute können es sich kaum noch leisten, sonntags auswärts zu essen.«
Lotta seufzte.
»Es ist traurig, wenn das Traditionelle vom Kommerz verdrängt wird. Auf Södermalm, wo ich wohne, ist es genauso. Kennen Sie Söder?«
Annika versuchte, nicht hinzuhören, sondern sich auf die Stimme des Jungen in der Zelle zu konzentrieren.
Schmuggelte Koks per Bahn in Sporttaschen, Bruder meldete ihn in der Schule krank, Mutter dachte, er sei beim Vater.
»Ein Glück, dass ich die Wohnung rechtzeitig gekauft habe«, sagte Lotta. »Die könnte ich mir sonst heute gar nicht mehr leisten.«
»Geht uns genauso«, sagte Carita. »Ich habe von meinen Eltern geerbt, deshalb konnten wir uns das Reihenhaus in Nueva Andalucía kaufen.«
»Dann sind Ihre Eltern schon tot? Das ist ja traurig«, sagte Lotta. »Schon lange?«
»Seit acht Jahren. Ich habe ein Biotech-Unternehmen geerbt, das sie gegründet und geführt hatten …«
Annika blickte auf.
»Ein Biotech-Unternehmen?«, fragte sie. »Wie heißt es denn?«
Sie erinnerte sich an ihre frühere Nachbarin auf Djursholm, Ebba Romanova. Die hatte ein Biotech-Unternehmen
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